Was hat CORONA mit Klopapier zu tun? – der Versuch einer Anal-yse (Teil 2)

Beginnen wir mit einer entschärften Variante des Klugscheißers, dem Besserwisser. Grundsätzlich gilt auch hier: Niemand mag Besserwisser! Es sei denn, er ist ein Bezzerwizzer. Denn Bezzerwizzer ist ein Familienspiel, das von Mattel Anfang des neuen Jahrtausends veröffentlicht wurde. Es handelt sich um ein Wissensspiel, das auf Spielen wie Trivial Pursuit oder Shows wie „Wer wird Millionär?“ aufbaut. Wir erkennen, Klugscheißer und Bezzerwizzer sind keine Randerscheinungen, sie sind ein Mainstream unserer Zeit.

Wenn wir in die Geschichte schauen erkennen wir, es gab schon früher Besserwisser – sie hießen nur anders. Der historische Besserwisser ist weniger negativ besetzt und er ist gesellschaftsfähig, geradezu populär. Er heisst Philosoph!

Sapere aude! – was heißt das? Diese beiden Worte erlangten Bekanntheit im 18. Jahrhundert durch den deutschen Philosophen Immanuel Kant, der diese Floskel zum Leitspruch der Aufklärung erhob. Kant übersetzte diese lateinischen Worte mit „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ – Gute Idee! Bei Wikipedia lautet die deutsche Übersetzung „Wage es, weise zu sein!“. Doch auch wenn diese hübschen Worte vornehmlich mit Kant in Verbindung gebracht werden, tatsächlich gehen sie auf einen der bedeutendsten römischen Schriftsteller zurück, nämlich auf Horaz (8 v. Chr.).

Daraus lässt sich nun unschwer folgern, dass für pfiffige Bezzerwizzer seit mindestens 2000 Jahren ein erkennbares Defizit an Verstand und Mut in der Gesellschaft erkennbar ist – und nicht erst seit CORONA. Man könnte auch übergreifend von einem immer noch erkennbaren Mangel an Zivilcourage sprechen, nicht Augen zu und durch, sondern – benutze Deinen Verstand und mach was! Und? Schon ein paar eigene Klugscheißer unter Nachbarn und Bekannten gefunden?

Aber trotz des Jahrhunderts der Aufklärung, Coca-Cola und Digitaluhren scheint sich daran nicht viel geändert zu haben, denn als die ersten beängstigenden Meldungen zu CORONA durch den Mediendschungel waberten – kämpften in der Folge weltweit moderne Klugscheißer um IHR Toilettenpapier! Aber warum? Vorräte waren über Wochen leer gekauft, obwohl praktisch alle Regierungen dazu aufgefordert hatten, von „Panikkäufen“ abzusehen.

Nun, eine gesicherte Erklärung kenne ich persönlich nicht. Aber es gibt ja das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, welches sich im März 2020 mit dieser Frage ernsthaft beschäftigt hat und zu der Erkenntnis gelangt ist: Toilettenpapier-Bevorratung könnte mit Persönlichkeitsmerkmalen in Verbindung stehen!? Für die Studie befragten die Forschenden 1.029 Erwachsene aus 35 Ländern. Als ein Ergebnis haben Menschen, die sich durch COVID-19 stärker bedroht fühlen und deren Persönlichkeit durch ein besonders hohes Maß an Emotionalität und Gewissenhaftigkeit geprägt ist, eher mit Toilettenpapier bevorratet als Menschen, die diese Merkmale nicht haben. Wer hätte das gedacht?

Andere Beobachtungen waren, dass ältere Menschen mehr Toilettenpapier horten als jüngere Menschen und dass Amerikaner mehr Toilettenpapier horten als Europäer. Mit einem bekennenden Besserwisser an der Spitze, eigentlich auch keine Überraschung…

Die Forschenden weisen darauf hin, dass die untersuchten Variablen nur etwa zwölf Prozent der Unterschiede hinsichtlich der Toilettenpapierbevorratung erklären, was darauf hindeutet, dass einige psychologische Erklärungen und situative Faktoren wahrscheinlich nicht berücksichtigt wurden. „Von einem umfassenden Verständnis dieses Phänomens sind wir noch weit entfernt.“ Trotzdem hat man schon mal ein bisschen was veröffentlicht – Wow! – Hier der Link zum Originalbeitrag: Die Psychologie des Toilettenpapier-Hamsterns

Vielleicht lässt sich das Phänomen viel einfacher, ohne Evolution der Gene, nur mit simpler Logik erklären. Denn möglicherweise ist nicht der Charakter einzelner Personen der entscheidende Faktor, sondern es waren die staatlichen Maßnahmen für/gegen die Bedrohung durch das neue Virus. Ganz kurz als Hintergrund:

Wie in anderen Bereichen auch, sind logistische Ketten auf die Bedürfnisse IHRER Kunden spezialisiert. Das Problem dabei: der gewerbliche und der private Klopapier-Markt funktionieren weitestgehend unabhängig voneinander. Es ist nicht möglich, für Großabnehmer gedachtes Toilettenpapier einfach in Supermärkten zu kaufen oder zu verkaufen. Keine Hausverwaltung wird sich bei Lidl oder Aldi den Einkaufswagen vollpacken. Verpackung und Papierqualität sind unterschiedlich, die Rollen sind anders perforiert, verkauft wird nicht in handlichen Päckchen, sondern in Paletten. Da Toilettenpapier wenig Geld einbringt, aber viel Platz wegnimmt, sind die gewerblichen Lieferketten auf Produktivität und Zeit optimiert. Da ist wenig Spielraum.

Wenn nun über Wochen Unternehmen und öffentliche Einrichtungen geschlossen werden und die Leute zu Hause bleiben (müssen), gehen sie genau so oft zur Toilette, nur an einem anderen Ort. Durch die Schließung von Schulen, Universitäten, Restaurants, Flughäfen, Unternehmen, Geschäften und Bürogebäuden hat sich die Nachfrage schlagartig vom gewerblichen auf den privaten Teil des Gesamtmarktes für Toilettenpapier verlagert. Hersteller schätzten, dass während des Shut-Downs zuhause doppelt so viel Klopapier genutzt wurde – soweit es halt zu kaufen war.

Mit diesem Hintergrund kann auch anscheinend irrationales Verhalten ein bisschen logisch interpretiert werden. Allerdings würde dies nur für die ersten Tage des Shut-Downs gelten, denn … ach egal, irgendwie ist ja doch immer ein Klugscheißer involviert.

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2 Gedanken zu „Was hat CORONA mit Klopapier zu tun? – der Versuch einer Anal-yse (Teil 2)“

  1. Manche Dinge lassen uns schon am Verstand unserer Mitmenschen zweifeln: heute morgen beim Bäcker, es regnet, normalerweise plane ich Sonntags 20 Minuten Wartezeit ein. Heute: 1 Kunde vor mir. Nach meinem obligatorischen ‚Moin‘ muss ich natürlich gleich fragen: was’n hier los? Warum so wenige da? Trockene Antwort der Verkäuferin: ‚Es regnet‘. Ein Moment Stille..
    Dann fährt sie fort: ‚Ja, keine Ahnung, wir wissen’s auch nicht. Aber die Leute haben vermutlich keinen Bock draussen im Regen zu warten‘ (seid Corona geht die Schlange bis zum Parkplatz).
    Ich frage ja gern und muss grinsend entgegnen: ‚Ah, dann wachsen die Brötchen bestimmt aus dem Keller jetzt.‘ Fragt mich nicht warum ich genau auf dieses Bild komme, ich hab noch nicht mal an die unzähligen Prepper direkt gedacht, aber irgendwie kam ich auf Keller.
    Darauf wieder die Verkäuferin: ‚Ja, kann schon sein, die Leute spinnen eh. Am Mittwoch war einer da, der hat 60 Brötchen gekauft. Der wollte groß einfrieren jetzt‘. Ich denke fassungslos: logisch, der Bäcker hat exakt an 2 Tagen im Jahr geschlossen: 25.12. und Neujahr – auch während Corona hatten die jeden Tag offen und es war genug da von allem.

    Ich will jetzt nicht zum Klugscheisser werden, aber das lässt sich auch nicht mehr mit Home-Office und gestiegenem Heim-Konsum erklären. @UTO: ich glaube, wir brauchen einen dritten Teil Deiner Serie 🙂

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