Die Qual der Wahl (Teil 2)

Nachdem ich erst Monate damit verbracht hatte, meine CDs zu digitalisieren, entschied ich mich dann doch für Streaming, für Tidal. Verlustfreie Klangqualität und eine schier unendliche Auswahl an Rock, Jazz, Blues und klassischer Musik. Dort gibt es sogar Aufnahmen, die ich noch von Radio Luxembourg auf Band kopiert habe, wobei das Signal auf meinem Kassettenrekorder noch ziemlich schwankte!

Bei Tidal war alles perfekt. Zuerst war es das Paradies, ich hörte praktisch alles was ich wollte – wann immer ich wollte.

Es gab auch kein Risiko mehr, einen Datenträger für ein ordentliche Stange Geld zu kaufen und dann anschließend zu entdecken, dass die Musik nicht der persönliche Erwartungshaltung entspricht. Aber nach einer Weile erinnerte mich das Ganze wieder an „Ben & Jerry’s“.

Vorher hatte ich eine begrenzte Anzahl von Discs, wenn ich Musik hören wollte konnte ich schon optisch über die Stärke und Zustand des Covers  auf den Inhalt der Disc schließen. Bei Tidal musste ich wissen, wen oder was ich hören wollte und ich bin heute noch über die Auswahlmöglichkeiten des Ganzen verblüfft.

Auch meine zweite Erfahrung mit zeitgemäßem Fernsehen macht es nicht besser. Ich habe mich für Amazon Prime entschieden, ein winziger Dongle, alles einfach, klein und fein.

Aber damit kam eine schier unendlichen Auswahl an Filmen und Serien. Und wenn man sich nicht systematisch (wie die Amerikaner) auf einen Fernsehabend vorbereitet hat – dann muss man sich Titel für Titel durchklicken. Natürlich kann man sich mit einem Klick einen Überblick zu den Serien und Reportagen verschaffen. Nur sind diese „Zusammenfassungen“ so fad und blöd, dass ich schon beim Lesen jedes Interesse verliere:

„Kann Liebe die Vergangenheit überwinden?“

„Grenzschutzbeamtin Tina hat eine besondere Gabe: Sie kann Angst, Scham und Wut riechen.“

„Die Leiche der jungen Marina Lewkojewa liegt auf dem Boden einer Restauranttoilette. Die Polizisten Lena und Max übernehmen den Fall.“

OK, ich klinge wie ein mürrischer alter Mann. Aber ich sehne mich manchmal nach den Tagen (m)einer alten, fast binären Welt zurück. Und ich glaube nicht, dass ich damit allein bin. Nach den überlieferten Worten von Henry Ford konnte man sein Model T in jeder Farbe kaufen, Hauptsache die Farbe war SCHWARZ! Trotzdem waren die Leute über diesen Wagen glücklich, man kaufte schließlich ein Auto für Mobilitätszwecke – und kein Bild.

Einige unserer Freunde haben Kinder, die a) sich nicht entscheiden können, was sie studieren sollen, b) wenn sie es dann schließlich doch getan haben, wechseln sie mitten im Studium zu einem anderen Studiengang.

Nachdem sie ihr Studium beendet haben wissen sie immer noch nicht, ob es die richtige Wahl war und wo sie sich bewerben sollten. Und man kann auch einen Job anfangen und dann weiter studieren, in der vagen Hoffnung, doch noch einen Traumberuf zu finden.

In den Tagen von Paarship und Tinder habe ich einen Erfahrungsbericht gelesen. Nach zahlreichen One-Night-Stands kam der Berichterstatter zu dem Schluss, dass er wohl einem wechselnden Scheinideal nachjagt, das dieses wahrscheinlich nicht existiert und er seine Zeit besser in Aufbau und Pflege schon bestehender Beziehungen investiert hätte.

Was wollen/brauchen wir wirklich? Ist die Wahl zwischen vielem wirklich besser als die Pflege „alter“ Werte und Beziehungen – und der alten Plattensammlung?

Englischer Originaltext: BCO
Deutsche Übersetzung: UTO

Bildquellen

Autor: bco

Hallo, ich bin Bernie Cornwell, der bco.harlekin. Wie schon meine Signatur-Kappe unten suggeriert, bin ich Wirtschaftsflüchtling aus England und seit der Brexitabstimmung Wahlexilant. Über Umwege via Sprachunterricht und Sozialarbeit bin ich bei der IT gelandet. Ich war in die Technik total verknallt und nach meinem ersten Realisierungsprojekt bei einer Berufsgenossenschaft habe ich mich als Business Analyst und Projektleiter sukzessiv immer weiter von der Technik entfernt… Inzwischen verdiene ich mein Brot als Berater, Trainer und Coach im Projektgeschäft in jeder beliebigen Branche. Mein Hintergrund und meine Reiselust führen mich überwiegend zu Einsätzen in der ganzen Welt oder/auch bei multikulturellen Unternehmen im deutschen Sprachraum. Mit den Jahren hat sich meine berufliche Einstellung wesentlich geändert. Früher Missionar in der Sache des methodischen Vorgehens, sehe ich mich nun eher als Lebenshelfer im Projektumfeld. Das Arbeiten in einem Projektteam kann lehrreich, stimulierend und begeisternd sein; es soll weder Mission Impossible noch Himmelskommando sein. Projekte können der beste Ansatz sein, Innovation, Wirtschaftlichkeit und reizvolles Arbeiten zu fördern. Warum lieben Projektleiter den „surrealistischen“ Dilbert? Weil er tägliche Projektsituationen darstellt, die wir wiedererkennen. Und weil sie leider recht realistisch sind.

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