Neue Grenzerfahrungen auf der kulinarischen Reise durch die Niederlande

Wenn ein Baby geboren wurde, wird dieses erfreuliche Ereignis natürlich gebührend gefeiert, und in Deutschland gibt es dafür zahlreiche Möglichkeiten. In meiner Heimat, dem Ruhrgebiet, wo es traditionell eher robust zugeht, geben die Väter häufig eine Runde in der Kneipe aus und lassen „das Baby pinkeln“. Auch von gewaltigen Torten-Kreationen der Grossmütter habe ich schon gehört, aber ich kenne keine deutschlandweite Tradition über Bundesländergrenzen hinweg, um die Ankunft eines Baby zu feiern.
In den Niederlanden ist das anders: Es gibt nahezu im ganzen Land dieselbe kulinarische Variante, zu der eingeladen wird, um die Ankunft des neuen Erdenbürgers zu feiern – beschuitjes mit muisjes. Was ist das? – werden Sie sich fragen.
Beschuitjes sind eine Art runde Zwiebäcke, allerdings weniger süss als der deutsche Zwieback. Auf das beschuitje wird Butter oder Margarine gestrichen und darauf werden die muisjes (auf deutsch „Mäuschen“) gestreut. Und da die muisjes-Tradition schon älter ist als der Trend zur Gender-Neutralität, sind es natürlich bei einem Mädchen rosa muisjes und bei einem Jungen hellblaue. (Und wenn in der königlichen Familie ein Baby geboren wird, isst man im ganzen Land beschuitjes mit muisjes in der niederländischen Nationalfarbe orange!)
Die muisjes bestehen aus Anissaat und sind mit Zuckerguss überzogen. Das hat auch seinen Sinn, den früher galt Anis als Stärkungsmittel für Frauen nach der Geburt. Angeblich sollte es die Muttermilchproduktion unterstützen. Allerdings macht der Verzehr meistens einen anschliessenden Staubsaugereinsatz notwendig, denn die Kombination von heruntergefallenen beschuit-Krümeln und muisjes verteilt sich sonst durch das ganze Haus. Hier haben Hundehalter unter Umständen einen Heimvorteil.

Unabhängig von Geburtsfeierlichkeiten gibt es zur Bereicherung des Frühstücks auch noch „gestampte muisjes“ zu kaufen. Die haben dann die Konsistenz eines weissen Puders. Als ich das erste Mal mit meinem Mann in einem niederländischen „Bed und Breakfast“ weilte und wir uns morgens an den Frühstückstisch setzten, war ich doch ziemlich schockiert. Ich sagte, dass ich zwar gewusst habe, das die niederländische Drogenpolitik liberaler sei als die deutsche, aber dass ich das Servieren von Kokain zum Frühstück doch ziemlich übertrieben fände. Dieses Missverständnis sorgte für ziemliche Erheiterung bei den Gastgebern. Und es halt mal wieder bestätigt, dass vieles im Leben nicht das ist, was es auf den ersten Blick zu sein scheint.
Zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking wurden chinesische Gerichte neu „übersetzt“. Zu den problematischen Gerichten zählte zum Beispiel „Jungfräuliches Huhn“ und „Verbrannter Löwenkopf“, in Wirklichkeit hergestellt aus jungen Hühnern und Buletten aus Schweinefleisch, die an Löwenköpfe erinnern sollen.
Doch auch die Käseliebhaber im Westen Europas haben ein ähnliche Problem. Denn selbst leistungsfähige Übersetzungsprogramme liefern beim Transfer von „beschuitjes mit muisjes“ ins Hochdeutsche eine gewagte Spezialität. Hier wird aus der Babytorte „Zwieback mit Mäusen“.
Erst so lernt man seine europäischen Nachbarn wirklich kennen! Nicht Matjes und Gouda bestimmen die kulinarische Identität der Niederlande, es ist u.a. dieses nuschelige Gericht. Spätestens zur nächsten Olympiade in Amsterdam wird man sich auch in den Niederlanden des Themas annehmen müssen 😊
Und wenn ein Bayer sich in Düsseldorf einen „halve Hahn“ bestellt, bekommt er immer noch kein halbes Hähnchen, sondern ein Roggenbrötchen („Röggelschen“) mit Käse und Würzzutanten (Wikipedia!). Kannse auch lecker essen mit Flöns und ölk!