Weniger ist mehr!(?)

Es geht mal wieder ums Glücklichsein…

Haben Sie auch feste Vorsätze gefasst für das neue Jahr? Eine Freundin erzählte mir, sie würde nun beim Kochen Sahne weglassen, zugunsten von Tomatensauce, die sie selber gemacht habe. Aha! Hört sich erst mal gesund und sinnvoll an. Sie wolle überhaupt auf einige Milchprodukte verzichten, damit sich ihr Darm wieder erhole. Wovon soll er sich erholen? Ein Freund erzählte, er würde jetzt weniger Alkohol trinken. Was genau ist denn weniger? Weniger, im Vergleich wozu? Ist ein Glas am Abend viel oder wenig?

Ich selber habe dieses Jahr den Vorsatz, „weniger“ zu arbeiten, was als Selbständige nur bedingt beeinflussbar ist. Ich bin sehr neugierig, wie dieser Satz vor mir her läuft und ich mich bemühe, ihn zu erreichen. Was weniger oder mehr ist, ist zumeist Ansichtssache und – Gewohnheit.

Mich überrascht immer wieder, dass wir Menschen uns belohnen mit Dingen oder Taten, die uns und unserer Gesundheit nicht wirklich gut tun. Wenn ich lese „Alkohol und Drogen“ muss ich immer lächeln. Heute trinke ich einen Wein auf mich, da ich einen so tollen, anstrengenden, sch…., was auch immer für einen Tag hatte. Statt eine Runde Laufen zu gehen oder eine halbe Stunde Yoga auf der Matte zu zelebrieren, „gönne“ ich mir die gesellschaftlich anerkannte Droge… Wir sind gut darin, uns zu betrügen, zu verraten und das Schädliche schön zu reden.

Und auch ich gebe es zu, bei bestimmten lukullischen Verführungen (z. B. Christstollen, die Creme brulée, der Punsch am Heiligen Abend oder Sekt an Sylvester – Ihnen fallen sicher genügend eigene Beispiele ein…) ist weniger gerne mal mehr. Vor allem am anderen Morgen… Oder beim vorweihnachtlichen Aufrüsten der Häuser in der Straße, wenn an jeder Ecke ein Weihnachtsmann die Hauswand hochklettert und das bunt beleuchtete Rentier Augenschmerzen verursachend fleißig im Chor mit Tausenden von farbenfrohen LED-Lichtern flackert.

Freiheit des Einzelnen hört dort auf, wo sie andere schädigt. Ich organisiere nächstes Jahr Demos, weil ich mich in meiner ästhetischen Haltung und Freiheit eingeschränkt fühle durch zu viele und bunte Lichterketten… Auch bei anderen Verführungen denke ich manchmal, eine Nummer kleiner hätte es auch getan: z. B., wenn Autos zu groß für ihren Fahrer erscheinen.

Im Internet findet man seit Jahren Ratgeber, die helfen wollen, mit weniger auszukommen um glücklicher zu werden. Marie Kondo z. B., die Aufräumaktivistin, die große Freude hat, wenn sie ein zugemülltes Haus zum ersten Mal betritt, sich dann lächelnd auf den Boden setzt, meditierend das Haus begrüßt und danach den dort lebenden Menschen, weiter lächelnd, deutlich macht, dass sie bitte nur das behalten sollen, was sie wirklich glücklich macht. Dazu wird jedes Kleidungsstück und auch sonst jeder Gegenstand in die Hand genommen und gespürt, welche Gefühle der Gegenstand auslöst. Ich hatte diese Methode im Sommer 2020 angewendet und war begeistert, welche Klamotten ich alles loslassen konnte. An meinem Vorsatz aber, nur noch ein neues Teil zu kaufen, wenn ich dafür ein altes Teil weggebe, bin ich dann kläglich gescheitert. Ich glaube, ich brauche einen nächsten Lockdown zum neuerlichen Aufräumen.

Auch Tiki Küstenmacher versucht, uns „simplify your life“ beizubringen. „Die Autoren setzen beim „Überdruss am Überfluss“ an und wollen dem Leser helfen, das Leben zu entrümpeln und zu entschleunigen, um zum Wesentlichen und zu sich selbst zu finden.“ (Wikipedia) Ob der Deutschlandfunk Recht hat, wenn er meint, „in solchen Büchern werden Weisheiten von höchster Banalität und Naivität verbreitet“, weiß ich nicht, ich habe es nämlich nicht gelesen.  

Beiden „Empfehlungswegen“ ist das Versprechen gemein, dass das Glück einzieht, wenn ich bewusst auf Ballast verzichte. Verzicht als Heilversprechen also. In einer Welt des Überflusses scheint Askese ein Weg zum Besseren zu sein. Wenn ich weniger habe, muss ich mich auch weniger kümmern und kann mich anderem, glücklich machendem, zuwenden. Wem oder was genau wende ich mich aber dann zu? Das ist hier die Frage. Happiness is something we create, it is not something to achieve. It is a path you choose, not a destination to arrive at. (management 3.0)

Verzicht aber, der aus Verlust entsteht, lässt eher verzweifeln. Als ich eine Hochwassergeschädigte (Juli 21) fragte, was das schlimmste für sie in der Katastrophe ist (Tiefgarage, Keller und Wohnung standen bei ihr unter Wasser), sagt sie mir, der Verlust aller Fotos. Das ist wie Identität und Vergangenheit verlieren. „Das Wasser nahm mir alles, was ich war.“

Für den Psychologen William James (1842 – 1910) war das Selbst nicht nur auf Körper und Geist beschränkt. Für ihn gehörten auch Familie und Freunde, Kleidung und das gesamte Hab und Gut dazu. Dieser Theorie folgend ist es auch nachvollziehbar, dass Flutopfer vom Identitätsverlust sprechen.

Meine Eltern waren Jäger und Sammler. Vielleicht wird man das, wenn man ein Kriegskind mit tief verängstigenden Erlebnissen ist. „Du sollst es mal besser haben“ und „Das Teil behalten wir, das ist noch gut“ waren Leitgedanken und Glaubenssätze in der Welt meiner Eltern. Ich habe diese Sätze damals gehasst, aber sie kamen mir gerade in den letzten beiden Jahren immer wieder in den Sinn. Viele Käufe aus meiner Vergangenheit habe ich mir geleistet, weil ich es konnte, nicht weil ich ein Teil wirklich gebraucht oder es mich langfristig glücklich gemacht hätte. Sind wir vielleicht die letzte Generation, von denen viele mehr haben (werden) als ihre Eltern? Was gilt für meine Tochter?

Wann ist für Sie weniger mehr?

Ich wünsche Ihnen allen für das neue Jahr, dass Sie immer genug von allem haben. Und dass Sie mitbekommen oder gute Freunde haben, die es Ihnen sagen, wenn Sie in einem SUV lächerlich aussehen, weil Sie einfach zu klein sind für ein so großes Auto.

Bildquellen

Autor: hfi

Hallo, ich bin Heike Fillhardt, der hfi.harlekin aus dem Rheingau. Ich leite und begleite seit Anfang der 90er Jahre Veränderungsprozesse in internationalen Unternehmen im Rahmen von Reorganisationen, Fusionen und Leitbildumsetzungen. Dabei vertraue ich auf die Kraft der Gruppe und arbeite nach dem Grundsatz: es gibt immer eine Lösung, egal wie lange es dauert. Viele Führungskräfte empfinden sich als „lonesome hero“ – ein Bild, das sich – wem auch immer sei Dank – endlich auch in Deutschland zu verändern scheint. Und ich freue mich über jedes Projekt im Rahmen von Agilität. Neben Erfahrungen aus dem klassischen Projekt- und Changemanagement bringe ich auch breites systemisches Methodenwissen ein. Ich bin Scrum-Master und Leadership Agility Coach. Erkenntnisse aus meinen verschiedenen physio- und psychologischen Ausbildungen fließen ebenso in mein Wirken ein wie meine Erfahrung als Dozentin und Mutter. Ich wirkte 14 Jahre als Managementberaterin, Coach und Trainerin in verschiedenen Unternehmen. Seit 2007 bin ich selbständige Beraterin mit eigener Coachingpraxis. Seit 2012 bin ich Kung-Fu-Schülerin. Und im Laufe der Jahre flossen immer mehr Körperübungen in meine Workshops und Trainings ein. Denn nur wer sich bewegt, ist auch langfristig erfolgreich. Meine Kunden schätzen vor allem das Umsetzen der theoretischen Themen in Spiel und Körperübungen, meine systemische Sicht auf das ganze Feld, das schnelle Einstellen auf situative Bedürfnisse, meine klare und wertschätzende Sprache und die konsequente Zielverfolgung.

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