Vom Mehl in der Mehlschwalbe und fliegenden Mistkerlen

Brachvogel

Ich habe Ihnen heute einen Artikel mitgebracht aus der Kategorie: Wissen, das wir eigentlich im Alltag nicht brauchen und genau deshalb im Gedächtnis behalten.

Wer mich gut kennt, weiß, dass mir die Ornithologie schon lange ans Herz gewachsen ist und ich in diesem Zusammenhang einen winzigen Beitrag leiste zur Klimaverbesserung, wenigstens in meinem Garten. Als ich neulich ein Geschenk für eine Freundin suchte, mit der ich die Leidenschaft für die Beobachtung des wilden Federviehs teile, stieß ich auf das Buch „Die Namen der Vögel Europas“ von Viktor Wember. Es ist wissenschaftlich aufgebaut, mit einer Menge vielfältiger Information und dem Versuch, sowohl die deutschen als auch wissenschaftlichen Namensbezeichnungen der Vögel herzuleiten oder zu erklären.

Wussten Sie zum Beispiel, dass die Bezeichnung Skua für die Große Raubmöwe aus Färöer stammt? Nun, jetzt wissen Sie es. Und sein lateinischer Name Stercorarius skua bedeutet Mistkerl! Das ist er auch, ein Mistkerl, der anderen Vögeln im Flug die Beute aus dem Schnabel raubt oder Basstölpel so lange in der Luft attackiert, bis diese ihre Beute hergeben.   „Stercorarius skua!“ klingt auch wie ein Harry Potter – Zauberspruch: „Mistkerle dieser Welt, hinfort mit Euch!“. Dabei wird elegant der Zauberstab geschwungen.

Nicht jeder Vogelname ist schlüssig erklärbar. Nehmen wir zum Beispiel den Großen Brachvogel, den ich letztes Jahr im März in der Lüneburger Heide beobachten durfte. Aus seinem Namen könnte man ablesen, dass er ein Bewohner des Brachlandes ist. Ist er aber nicht. Er bewohnt ausschließlich Feuchtwiesen. Das aus dem Mittelhochdeutschen stammende Wort „Bracher“ bedeutet Prahler. Und wenn ich mir den Schnabel dieses seltenen Vogels betrachte, kann ich dem etwas abgewinnen: der lange gebogene Schnabel sieht aus wie eine schmale Neumond-Sichel (daher auch der wissenschaftliche Name Numenius arquata) und ist etwa ein Drittel so lang wie sein Körper. Kein europäischer Vogel hat einen längeren. Nur im Amazonas-Regenwald lebt ein Kolibri, dessen Schnabel länger ist als sein Körper, weil er den Nektar einer ganz bestimmten Pflanze schlürft, der sich tief in der trichterförmigen Blüte befindet. Fantastische Wesen! Aber zurück nach Europa.

Sie kennen sicher das Wort „kiebitzen“ im Sinne von „abgucken, über die Schulter schauen“. Wenn man seinem Nest zu nahe kommt und seine Brut damit bedroht, gibt sein spezifisches Verhalten dem Kiebitz seinen Namen: er fliegt um einen herum und flattert dabei mal rechts mal links von hinten an der Schulter vorbei. Ich weiß, wie sich das anfühlt, wenn Vanellus vanellus attackiert (ich habe ihn nicht mit Absicht erschreckt, ehrlich). Ein schneller Rückzug meinerseits hat ihn dann auch beruhigt, und ich habe aus sicherer Entfernung weitere Attacken auf Läufer, Walker oder Spaziergänger beobachtet. Es könnte aber auch sein, dass seine Laute ihm seinen Namen gaben.

Ein anderer Vogel heißt genauso wie das was er tut: der Bienenfresser (Merops apiaster). „Von Vogelfreunden bewundert, aber von Imkern gefürchtet: Sowohl der ältere deutsche Name Immenwolf, als auch der Name Bienenfresser zeugen von der Furcht der Imker vor diesem Vogel.“ (Wember, S. 147)

Bienenfresser

Übrigens ist die wissenschaftliche Bezeichnung eines Tieres oft wesentlich älter als die deutsche, wurden doch alle wissenschaftlichen Aufzeichnungen von ihren teilweise berühmten Verfasser*innen (auch dazu gibt es bei Wember ausführliche Listen) in Griechisch oder Lateinisch geschrieben. Die Aufzeichnungen von Naturbeobachtungen begannen schon bei den alten Griechen, vor allem Aristoteles ist hier zu nennen. Bei den alten Römern war es Plinius, der viele Beobachtungen dokumentierte. Latein war übrigens bis ins 18. Jahrhundert die tatsächlich gesprochene und geschriebene Sprache an europäischen Universitäten. Es ist den Wissenschaftler*innen nicht hoch genug anzurechnen, dass sie eine Kunstsprache für Flora und Fauna entwickelt haben, die auch heute noch Gültigkeit hat. Durch die Benennung von Gattung und Art entstand so eine Zwei-Wort-Nomenklatur, die hilft, genaue Beobachtungen zu dokumentieren und neue Arten zu benennen. Und die es möglich macht, sich untereinander zu verständigen und zu verstehen. Wenn Hardcore-Birdwatcher sich treffen, reden sie oft im wissenschaftlichen Kauderwelsch. Eigentlich genau so, wie in anderen Disziplinen auch.

„Die Doppelung im wissenschaftlichen Namen erklärt sich zwar aus den Regeln der Nomenklatur, aber nichtsdestoweniger gibt „Crex crex“ das stets zweisilbige „Knarren“ des Wachtelkönigs wieder.“ (Wember, Seite 111). Wer mehr crex crex hören möchte, dem empfehle ich die Seite Xeno-canto ( https://www.xeno-canto.org/species/Crex-crex ).

Herr Wember beschreibt viele unterschiedliche Herleitungen für die wissenschaftlichen Bezeichnungen.

Wer z. B. schon den monotonen, nervenden, sich unendlich wiederholenden Gesang des Zilpzalps gehört hat, weiß, warum der so heißt. Allerdings gibt mir sein wissenschaftlicher Name Rätsel auf: Phylloscopus collybita, was so viel wie Geldwechsler heißt. Jetzt bin ich mit meinem Latein am Ende und Herr Wember anscheinend auch. Wo wir gerade bei Singvögeln sind: Die Mönchsgrasmücke hat im Verhältnis zur Gesamt-Körperlänge den lautesten Gesang im heimischen Vogelparadies. Ansonsten ist sie ein kleines graues Vögelchen mit schwarzer Kappe (Sylvia atricapilla).

„Der Pirol ist – ähnlich wie Kuckuck und Wiedehopf – in manchen Sprachen nach seiner auffallenden Stimme benannt.“ (Wember, S. 182) Und wer einmal einen Pirol im Wald hat singen hören ( https://www.deutsche-vogelstimmen.de/pirol/ ), wird ihn nicht vergessen. Übrigens ist er trotz seiner leuchtend gelben Gefiederfarbe schwer zu beobachten: er fliegt nur (!) in hohen Baumkronen und nie (!) auf Augenhöhe oder Bodennähe.

Der Spatz dagegen mag die Nähe zum Menschen, was sich auch in seiner wissenschaftlichen Bezeichnung wiederfindet: Passer domesticus, der Haussperling.

Und was hat die Mehlschwalbe nun mit Mehl zu tun? Die Mehlschwalbe ist der einzige europäische Vogel, dessen Unterseite von der Kehle bis zur Schwanzwurzel einschließlich der Füße (!) rein weiß ist. „Wer sogar weiße Füße hat, muss im Mehl gewesen sein.“ (Wember, S. 154).

Vieles könnte ich noch beschreiben aus diesem wunderbaren Buch. Zum Beispiel hat Herr Wember am Ende der Vogelbeschreibungen eine „Kleine Wortkunde“ angefügt mit ausgewählten lateinischen und griechischen Wörtern, die in den wissenschaftlichen Namen verwendet werden. Wer Freude an Sprache hat, kommt hier auf seine Kosten.

So nüchtern das Buch daherkommt, so begeistert habe ich es gelesen. In diesen gut 200 Seiten ist ein Detailwissen versteckt, das alle Birdies begeistert. Vor allem im Herbst und Winter, als Vorgeschmack auf den kommenden Frühling, wenn alles wieder beginnt zu fliegen – auch die Mistkerle.

Bildquellen

Autor: hfi

Hallo, ich bin Heike Fillhardt, der hfi.harlekin aus dem Rheingau. Ich leite und begleite seit Anfang der 90er Jahre Veränderungsprozesse in internationalen Unternehmen im Rahmen von Reorganisationen, Fusionen und Leitbildumsetzungen. Dabei vertraue ich auf die Kraft der Gruppe und arbeite nach dem Grundsatz: es gibt immer eine Lösung, egal wie lange es dauert. Viele Führungskräfte empfinden sich als „lonesome hero“ – ein Bild, das sich – wem auch immer sei Dank – endlich auch in Deutschland zu verändern scheint. Und ich freue mich über jedes Projekt im Rahmen von Agilität. Neben Erfahrungen aus dem klassischen Projekt- und Changemanagement bringe ich auch breites systemisches Methodenwissen ein. Ich bin Scrum-Master und Leadership Agility Coach. Erkenntnisse aus meinen verschiedenen physio- und psychologischen Ausbildungen fließen ebenso in mein Wirken ein wie meine Erfahrung als Dozentin und Mutter. Ich wirkte 14 Jahre als Managementberaterin, Coach und Trainerin in verschiedenen Unternehmen. Seit 2007 bin ich selbständige Beraterin mit eigener Coachingpraxis. Seit 2012 bin ich Kung-Fu-Schülerin. Und im Laufe der Jahre flossen immer mehr Körperübungen in meine Workshops und Trainings ein. Denn nur wer sich bewegt, ist auch langfristig erfolgreich. Meine Kunden schätzen vor allem das Umsetzen der theoretischen Themen in Spiel und Körperübungen, meine systemische Sicht auf das ganze Feld, das schnelle Einstellen auf situative Bedürfnisse, meine klare und wertschätzende Sprache und die konsequente Zielverfolgung.

2 Gedanken zu „Vom Mehl in der Mehlschwalbe und fliegenden Mistkerlen“

Schreibe einen Kommentar zu Heike B. Fillhardt Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert