Umwege, Irrwege und Auswege

Aus Anlass der zweiten Auflage des Buchs „The Crazy PMPprep“ (ein Roman zur Vorbereitung auf die PMP- und CAPM-Zertifizierung) veröffentlichen wir diese Woche einen Ausschnitt aus dem Buch. Es geht um Änderungskontrolle, Sie werden Zeuge einer Diskussion zwischen dem (unfreiwilligen) Projektleiter Henri und seinem Patienten und Coach Peter Pomosch. Der am Rande erwähnte „Riemann“ ist Direktor der psychiatrischen Einrichtung und Initiator des Projektes „Durchführung eines Konzerts mit Patienten als Musiker“.

Tag 18 – CHANGE CONTROL

„Warum müssen wir jetzt Deiner Meinung nach über Änderungen sprechen?”, fragte Henri.

„Weil Du gerade die Teile des Scopes bearbeitest, die anschliessend abgenommen werden müssen und dann als Basis für alle folgenden Anpassungen dienen. In den meisten ähnlich gelagerten, und damit meine ich „predictive“ Projekten, ist es so: Kaum hast du gedacht, dass du den Scope festgenagelt hast, kommt einer und will mehr oder weniger – oder alles anders. Wenn du nicht aufpasst, wird aus einem schnuckeligen  kleinen Projekt ein amorphes Monster. Und Aufpassen heisst, Änderungen zu erkennen und darüber Transparenz zu schaffen. Da hilft uns wieder das Beispiel mit dem Navi weiter“, fuhr Pomosch fort, „falls du dich soweit erinnern kannst. Das PMBoK® sagt dazu, es sei a process whereby modifications to documents, deliverables, or baselines associated with the project are identified, documented, approved, or rejected. Angenommen, du möchtest während der Fahrt deine Route ändern, dann gibst du ein neues Ziel oder ein Zwischenziel an. In welcher Rolle bist du dann also?”

„In der Rolle des Fahrers”, antwortete Henri.

„Ich meinte natürlich, übertragen auf ein Projekt. Da bist du dann der Auftraggeber. Du gibst einen anderen Auftrag. Mit hoher Wahrscheinlichkeit führt das dazu, dass sich auch deine Ankunftszeit am Ziel ändert. Schliesslich machst du einen Umweg. Kennst du deine neue Ankunftszeit bereits bei der Eingabe? Natürlich nicht. Die muss ja erst neu errechnet werden. Und das Navi ist im Prinzip das Projekt. Anhand deines neuen Ziels errechnet es unterschiedliche Möglichkeiten, dorthin zu gelangen und, je nach Voreinstellung, werden dir Alternativen oder nur ein Weg vorgeschlagen. Der kürzeste, der ökonomischste, der schnellste, eben je nach Einstellung. Und dann musst du entscheiden, welchen du möchtest.”

„Du meinst, ich muss jedes Mal, wenn der Riemann wieder seine Meinung ändert, neu durchrechnen?”, fragte Henri mit gerunzelter Stirn zurück. „Das ist ziemlich aufwändig.”

„Unter Umständen schon. Aber überlege mal die Konsequenzen, wenn du, beziehungsweise das Navi, das nicht tun würde. Das Navi ist der Meinung, der Weg über die Alpenpässe ist der Schönste, dir kotzen aber deine Kinder ins Auto, wegen der vielen Kurven.”

„Ich habe keine Kinder”, sagte Henri.

„Ist doch egal. Ist doch nur ein Beispiel. Dann kotzt halt deine Frau oder Freundin.”

„Ich bin gerade Single.”

„Ok. Dann kotzt halt der Anhalter, den du mitgenommen hast. Jaja, ich weiss. Du nimmst keine Anhalter mit.”

„Natürlich nehme ich Anhalter mit. Was denkst du von mir?”, entrüstete sich Henri.

„Zurück zum Beispiel”, sagt Pomosch und verdrehte die Augen. Henri sah es. „Das Navi fragt also nach einer Bestätigung. Das muss der Projektleiter auch tun. Es soll möglichst nicht geschehen, dass es diesbezüglich Missverständnisse oder Unklarheiten gibt. Wer fährt schon gerne in einem vollgekotzten Auto. Weder Fahrer noch Beifahrer. Das ist im PMBoK® mit approved or rejected gemeint. Schliesslich könnte sich der Fahrer ja auch entscheiden, dass er den Anhalter loswerden möchte und fährt dann doch über die kurvige Passstrasse. Im Cabrio. Offen. Bei  4 Grad. Ohne Heizung.”

„Und was ist dann mit modifications to documents, deliverables, or baselines associated with the project gemeint?”, fragte Henri.

Deliverables beim Navi sind zum Beispiel das Reiseziel und deine eingegebenen Routenoptionen. Project documents könnten im Falle des Navis beispielsweise die Aufzeichnung von Daten zur bereits zurückgelegten Strecke sein. Ähnlich einem Fahrtenschreiber. Und Baselines sind alle abgenommenen und eingefrorenen Planungen, die eingehalten werden müssen. Da muss es nicht nur um die Zeit gehen. Möglicherweise möchtest Du ja auch kostengünstig am Ziel ankommen, also den Energieverbrauch nicht über einen bestimmten Wert steigen lassen.  im Prinzip alles, was an bestehender Planung verändert werden muss, um deinen Anforderungen an Ziel und Weg gerecht zu werden. Und das  passiert während der kompletten Fahrt, beziehungsweise während des ganzen Projekts.”

„Und wenn ich kurz anhalte, damit der Anhalter zu Ende kotzen kann, muss ich dann auch die Erlaubnis von Riemann abholen?”

„Natürlich nicht, sofern der jetzt nicht stundenlang kotzt. Kleine Abweichungen sind normal. Dein Job ist es, dies dann wieder aufzuholen.“

„Und wenn ich jetzt schon weiss, dass ich nicht mehr rechtzeitig ankomme, weil der Kerl nicht  mehr aufhört zu kotzen, muss ich dann einen Änderungsantrag stellen?“

„Nicht unbedingt. Abweichungen sind ja per se nichts Schlimmes. Ohne das Wissen um die Abweichung hättest du ja gar keinen Anlass, etwas zu unternehmen. Wenn das Navi jedes Mal bei einer Verspätung die ursprünglich geplante Ankunftszeit mit anpassen würde, gäbe  es gar keine Verspätung. Genauer gesagt, die Verspätung käme erst bei der Ankunft zum Tragen, zum Beispiel, wenn deine Band das Konzert nicht beginnen konnte, weil die Instrumente  bei dir im Auto sind.”

„Aber das Navi weiss doch gar nicht, wann das Konzert beginnt. Ich hätte ja zur Sicherheit schon eine Stunde früher losfahren können.”, warf Henri ein.

„Zugegeben. Es ist nicht alles ein Vergleich was hinkt. Aber wenn du als Projektleiter nicht weisst, wann das Konzert beginnt, schwant mir nichts Gutes”, antwortete Pomosch. „Möglicherweise erinnerst du dich noch an den Unterschied zwischen Baselines und Subsidiary Plans. Die Baselines, also Scope, Schedule und Cost sind immer unter Änderungskontrolle. Bei allen anderen Plänen kommt es auf das Projekt an. Der Change Control Plan, ein Teil des Projektmanagementplans, setzt das Änderungskontrollgremium ein, dokumentiert den Umfang seiner Befugnisse und beschreibt, wie das Änderungskontrollsystem umgesetzt werden soll, wobei in deinem Fall das Board der Riemann ist. Und die Beschreibung der Umsetzung beinhaltet auch, wie im Falle einer Änderung zu verfahren ist und welche Elemente überhaupt eine Genehmigung im Falle der Änderung benötigen.”

„Was für ein Aufwand!” stöhnte Henri.

„Muss aber sein, denn ansonsten kotzt Du”, sagte Pomosch.

Bildquellen

Autor: rge

Hallo, ich bin Rüdiger Geist, der rge.harlekin vom Zürichsee. Als Politikwissenschaftler verlor ich sehr schnell den Glauben an Rationalität und den homo oeconomicus. Also suchte ich mir was Handfesteres und Logischeres: die Informatik. Feste Regeln, unmittelbares Feedback vom Compiler und nicht viel mit Menschen zu tun haben. Ihr erahnt es schon, es kam ganz anders. Schnell wurde ich zum Projektleiter ernannt, hörte sich auch toll an, wusste aber nicht so genau was das eigentlich ist. So nach etwa drei Jahrzehnten im Umfeld von Projekten meine ich nun zu wissen worum es da geht und so trage ich nun meine Erkenntnisse seit 2005 mittels eigenem Unternehmen in die Welt hinaus, ja sogar in die EU. Es gibt so viele schöne Zitate, die die unterschiedlichsten Facetten des Projektmanagements beschreiben und ich nutze sie gerne. Aber das beste stammt natürlich von mir selbst: Der Zweck des Projektmanagement ist «no surprises».

2 Gedanken zu „Umwege, Irrwege und Auswege“

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