Über WC-Sitze, Zielgruppen und Ideen

Methoden wie «Design thinking», «Methode 635», «Der Fünf-Brillen-Blick», das «Kreativroulette» und noch Dutzende (Hunderte?) andere wurden entwickelt um uns zu helfen kreativer, nutzerorientierter und natürlich «out of the box» zu denken. Und um das auch ganz klar gesagt zu haben: gut so! Wir alle, die solche Methoden schon angewendet haben wissen: das kann helfen!

Und was hat das mit WC-Sitzen zu tun? Der werte Leser könnte die Annahme hegen, dass die Idee zur Entwicklung eines solchen Sitzes unter Nutzung solcher Methoden heraus entstand, und mir jetzt als Beispiel dafür dient, welche tollen Ergebnisse damit zu erzielen sind. Weit gefehlt. Ich habe nicht den leisesten Schimmer, wer als erstes solche Deckel entwickelt und produziert hat, geschweige denn, welcher Ansatz zur Ideenentwicklung genutzt wurde.

Mir geht es vielmehr um die Frage, wer bei der Ideengenerierung teilnehmen sollte. Ich möchte das am Beispiel «WC-Sitze mit Absenkautomatik» verdeutlichen. Wie kommt jemand auf die Idee sowas zu entwickeln? Da gibt es natürlich jede Menge potentielle Möglichkeiten. Hier nur ein paar wenige: kreative Energie, Druck durch Mitbewerber, Marktforschung, aber natürlich auch durch Anregung von Nutzern. Gerade bei den letzteren sind häufig sehr konkrete Problemsituationen die Auslöser für Ideen. Also zum Beispiel das Geräusch, wenn der Deckel runterknallt, was als unangenehm laut empfunden werden könnte. Oder anhaltender Rückenschmerz beim Bücken. Oder Gäste mit schlechten Manieren. Dann auch Menschen mit Haustieren, die immer mal wieder gerne auch aus der Toilette den Durst stillen (die Haustiere!). Man stelle sich vor, der Deckel kracht runter während die Katze… ich schweife ab.

Die Menge und Auswahl der im Zuge der Ideengenerierung vertretenen Interessengruppen (Menschen mit gutem Gehör, Rückenschmerzgeplagte, Menschen mit Sozialkontakten, Katzenliebhaber…), kann zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Wird eine Interessengruppe ausser Acht gelassen, so steigt die Wahrscheinlichkeit, deren Bedarfe nicht abzudecken.

Unser Brexitflüchtling, der Harlekin bco, hat sich bei seiner unlängst durchgeführten Badezimmerrenovierung gegen WC-Sitze mit Absenkautomatik, also für solche, die flott zuknallen, entschieden. Grund, so sagt er, seien seine Enkelkinder.

Das leuchtet ein, denn so langsam, wie sich diese Deckel senken, könnten besagte Enkelkinder in der Zwischenzeit ja wieder herausklettern. Für diesen Anwendungsfall ist natürlich die herkömmliche Art und Weise (rumms und zu) viel hilfreicher.

Ich bin mir ganz sicher, dass die Entwickler diesen Anwendungsfall nicht bedacht haben, oder ihm zumindest nicht viel Bedeutung zugemessen haben. Die nutzerabhängige automatische Anpassung der Deckelgeschwindigkeit hatte somit keine Realisierungschance.

Merke:    Die richtigen Leute zusammenbringen ist wichtiger als die Methode
UND
Die anzuwendende Methode ist abhängig von den teilnehmenden Personen

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Autor: rge

Hallo, ich bin Rüdiger Geist, der rge.harlekin vom Zürichsee. Als Politikwissenschaftler verlor ich sehr schnell den Glauben an Rationalität und den homo oeconomicus. Also suchte ich mir was Handfesteres und Logischeres: die Informatik. Feste Regeln, unmittelbares Feedback vom Compiler und nicht viel mit Menschen zu tun haben. Ihr erahnt es schon, es kam ganz anders. Schnell wurde ich zum Projektleiter ernannt, hörte sich auch toll an, wusste aber nicht so genau was das eigentlich ist. So nach etwa drei Jahrzehnten im Umfeld von Projekten meine ich nun zu wissen worum es da geht und so trage ich nun meine Erkenntnisse seit 2005 mittels eigenem Unternehmen in die Welt hinaus, ja sogar in die EU. Es gibt so viele schöne Zitate, die die unterschiedlichsten Facetten des Projektmanagements beschreiben und ich nutze sie gerne. Aber das beste stammt natürlich von mir selbst: Der Zweck des Projektmanagement ist «no surprises».

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