Über Firmenübernahmen – und die Übernommenen

Teil 2: Die Integrationsphase

Bei der Integrationsphase in den ersten Monaten nach einer Firmenübernahme sind für die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom absoluten Alptraum bis zu permanenter Hochstimmung alle Gefühlsebenen möglich. Viel hängt natürlich davon ab, wie zufrieden man mit dem „alten“ Unternehmen war. Hat man dort schon seit Jahren über Entscheidungsträgheit oder gar –unfähigkeit geklagt, erfreut man sich vielleicht an der Dynamik, die man im neuen Unternehmen erlebt.

Auch gibt es erfreuliche Überraschungen: Bei mir waren das vor vielen Jahren bei meinem neuen (und ersten amerikanischen) Arbeitgeber ein zweiwöchiger Englisch-Auffrischungskurs in Stratford-on-Avon und interessante Trainings über deutsch-amerikanische Kulturunterschiede. Von den Trainings habe ich erstaunlich viele Details behalten und habe amerikanische Kolleginnen kürzlich noch gefragt, ob es in Amerika immer noch ein Verstoss gegen die guten Sitten ist, im Büro keine Strümpfe zu tragen…

Wenn man aus einem Unternehmen kommt, in dem alles kaputtgespart wurde und die Investitionsbereitschaft gleich Null war, kann es sich anfühlen wie Weihnachten und Geburtstag am selben Tag, wenn unter dem neuen „Regime“ innerhalb einer Woche gleich zwei zusätzliche Stellen genehmigt werden.

Oft sind es die kleinen Dinge, die den Neustart anstrengend machen. Bei mir waren es in einem Fall die völlig anderen Kommunikationsprozesse im neuen Unternehmen, an die ich mich erst gewöhnen musste. Als Koordinatorin bei einem technischen Helpdesk mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf 3 Kontinenten war ich eine gewisse Transparenz ja schon gewohnt, aber die Vielzahl der Gruppen-Chats, in denen kontinuierlich kommuniziert wurde (mit ganz vielen Smileys, gen Himmel gestreckten Daumen und GIF’s!) fand ich zunächst ziemlich erschreckend. Jedoch werden mit der Zeit viele Dinge selbstverständlich, über die man sich anfangs – milde ausgedrückt – gewundert hat.

Auch die neue Terminologie kann gewöhnungsbedürftig sein. Bekanntes heisst im neuen Unternehmen anders, und bis man das herausgefunden hat, kann man mit den neuen Kollegen nach Herzenslust aneinander vorbei reden. (Erinnern Sie sich aus Ihrer Schulzeit noch an das gute alte Vokabelheft? So etwas kann man dann gut gebrauchen!)

Entscheidendes Erfolgskriterium für die Transition-Phase ist das Integrations- und Trainingskonzept. Da stellt sich zunächst einmal die Frage „Gibt es eins?“. Wenn nicht, werden es spannende Wochen für die übernommenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und wenn doch, ist die Frage, ob das Konzept bereits erprobt und realistisch ist oder ob halt irgend ein Manager beschlossen hat, für die Einarbeitung in acht verschiedene Computersysteme müsste eine Woche doch reichen. Wenn das Konzept durchdacht ist und sich evtl. bereits bei früheren Übernahmen bewährt hat, haben die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Glück. Ansonsten hilft es nur, die Nerven zu behalten.

Bei einer Übernahme oder Fusion gibt es so viel zu regeln und zu bedenken: „Die Neuen“ müssen in die Führungstrukturen des Unternehmens eingegliedert werden und das gegenseitige Kennenlernen zwischen den alten und neuen Teamkollegen muss organisiert werden. Trainings für Prozesse und Programme müssen entwickelt bzw. angepasst und durchgeführt werden, die Personaladministration muss den Wechsel entsprechend abwickeln (denn nichts wirkt so motivationsfördernd wie die pünktliche Auszahlung der Gehälter nach der gerade stattgefundenen Übernahme!), die neuen Kolleginnen und Kollegen benötigen neue PC’s und Telefone etc. – und so weiter. Es wäre beinah ein Wunder, wenn nicht irgendwo etwas schief ginge.

Nach meiner Erfahrung wird ein Aspekt in den ersten Wochen oft vernachlässigt, und dass ist die Einführung in das informelle Regelwerk des Unternehmens. Dies ist natürlich in keiner Prozessbeschreibung zu finden, und deshalb lernt man einige informelle Regeln erst kennen, wenn man gegen sie verstösst. Und das passiert schneller als man denkt. Wer – wie ich hin und wieder – etwas tut oder nicht tut, sagt oder fragt was aus irgendwelchem Grund in diesem Unternehmen „not done“ ist, muss unter Umständen sehr viel Zeit und Nerven in Massnahmen zur Schadensbegrenzung  investieren. Deshalb bin ich ein grosser Fan des Paten-Konzepts, was bedeutet, dass ich eine Person im neuen Unternehmen habe, die nicht identisch mit meiner Führungskraft ist und die ich ungeniert alles fragen kann, und die mich genauso ungeniert auf etwaige Fettnäpfe hinweist. Solche Paten habe ich nicht nur gehabt, sondern bin inzwischen auch öfter Patin gewesen. Ich kann dieses Arrangement nur empfehlen.

Und das Geschäft (was es auch immer ist) muss während der Integrationsphase ja auch weitergehen, Kunden und ihre Datenbestände müssen integriert werden und die übernommenen Kunden benötigen ebenfalls Hilfe, um sich beim neuen Unternehmen zurechtzufinden.

Es braucht halt Zeit, bis man alle grossen und kleinen Unterschiede bezüglich der Unternehmenskultur erkannt und verstanden hat. Und die Zeit sollte man sich auch nehmen, bevor man über das neue Unternehmen sein Urteil fällt.

Um noch einmal auf den unromantischen Beziehungsstart zurückzukommen: Ich habe inzwischen die Erfahrung gemacht, dass daraus doch noch eine Liebe auf den zweiten Blick werden kann.

Bildquellen

Autor: bbr

Hallo, ich bin Beate Brinkman, der bbr.harlekin. Ich bin Redakteurin und Autorin für den Harlekin.Blog e.V. und im “Hauptberuf” in einem international agierenden IT-Unternehmen als Support Coordinator tätig. Bisher habe ich in deutschen, niederländischen, amerikanischen und indischen Unternehmen gearbeitet und viele Erfahrungen mit multikultureller Zusammenarbeit machen dürfen. Seit vielen Jahren lebe ich als Deutsche in den Niederlanden und habe festgestellt, dass schon allein die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschen und Niederländern ganze Bücher füllen können. Aus beruflichen und privaten Gründen gilt dem multikulturellen (Miss-)Verständis mein besonderes Interesse. Ob es um Essen, Sprache, dienstliche Conference Calls oder die Gestaltung von Begräbnissen geht – wenn die Kulturen mehrer Länder aufeinander stoßen, wird es spannend. Und das führt zu manchmal unerfreulichen, oft sehr komischen, aber immer lehrreichen Situationen.

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