Leise rieselt der Pudding…

Als ich in Laos als freiwilliger Lehrer für den britischen Voluntary Service Overseas (dem amerikanischen Peace Corps ähnlich) arbeitete, hatte ich die glänzende Idee, einige Freunde zu einem britischen Weihnachtsessen einzuladen. Ich lebte in einer Stadt am Mekong, meilenweit entfernt vom nächsten Sainsbury’s, also überlegte ich, wie ich meine Zutaten beschaffen sollte. Glücklicherweise war die britische Botschaft nur ein paar hundert Kilometer entfernt, wo es gelegentlich Leckerbissen wie Chivas Regal für fast nichts (zollfrei) gab.

Meine erste Herausforderung war der Vogel. In Südostasien gibt es nicht besonders viele Truthähne, aber auf meinem Gelände gab es eine Schar streitlustiger Gänse… Nein, ich entschied mich besseren Wissens für die Hilfe von Yen, einem meiner Studenten, der versprach, mir eine Gans zu besorgen. Ich brauchte sie nur in der Stadt abholen. Und da stand er an der Straßenecke mit dem Vogel. In einem Korb. Noch quicklebendig, denn so hält man Fleisch in den Tropen frisch. Yen stieg auf den Rücksitz meiner treuen Honda 50, die Gans im Korb zwischen uns gequetscht, die gelegentlich die Menschen und Häuser, an denen wir auf dem Weg zu meinem Haus vorbeikamen, mit einem „Honk!“ kommentierte.

Mike, der andere Freiwillige, und ich verbrachten die nächste Stunde damit, heftig darüber zu diskutieren, wie wir den Vogel erledigen sollten: „Bei Hühnern hackt man den Kopf ab.“ „Ja, aber dann rennen sie oft noch eine Weile herum, bevor sie sterben.“ „Ich dachte, man würde ihr einfach den Hals umdrehen.“ „Ich versuche es gar nicht erst, sie würde mich zu Tode picken, bevor ich sie richtig greifen kann. Jedenfalls habe ich das noch nie gemacht, und du auch nicht!“ Wir machten lange weiter, denn wir wollten der Gans nicht „wehtun“, sondern sie nur töten und essen…

Wir wandten uns hilfesuchend and unsere Nachbarin, die – in einen Sarong gehüllt – erstaunt unseren im primitiven Laotisch vorgetragenen Erklärungen lauschte. Sie schrie vor Lachen, dass die beiden erwachsenen Männer keine Gans schlachten konnten.

Nein, wir haben nicht zugesehen. Sie hat uns danach noch wochenlang geneckt.

Die Diplomatentasche erwies sich als ein Geschenk des Himmels für die Zutaten. Normalerweise wird sie für streng vertrauliche Botschaften für Botschaftsmitarbeiter und geheime Pakete verwendet, aber mit ihrer Hilfe lieferte meine Mutter mir ein Glas Mincemeat – die unverzichtbare süße Füllung von Mince Pies, Törtchen, die zu Weihnachten gewärmt aufgetischt werden (nicht zu verwechseln mit minced meat, das die Amerikaner Hamburger nennen) und einen echten Weihnachtspudding von Marks and Spencer (fälschlicherweise als Plum Pudding bezeichnet, ist es eine Mischung aus Mehl, Semmelbröseln, Butter und viel Zucker und Trockenfrüchten – ohne Pflaumen).

Mince Pies

Ich war zwar eine passabler Koch, hatte aber noch nie etwas gebacken, so dass Mince Pies eine neue Herausforderung waren. Ich machte den Teig eines Abends nach dem bewährten Rezept, das mir meine Mutter geschickt hatte. In unserer Stadt kam es häufig zu Stromausfällen, und dieser Abend war keine Ausnahme. Ich hatte die Zutaten auf meinem Schreibtisch zusammengetragen, da ich keine andere Fläche zur Verfügung hatte, und wehrte die gefräßigen Ameisen ab, die aus dem Nichts auftauchten. Ich habe noch nicht erwähnt, dass ich in einem Teakholzhaus mit dem Luxus von Strom und Fliegen- (oder eigentlich Moskito-)gittern an den Fenstern wohnte. Trotzdem schafften es Insekten und sogar kleine Skorpione regelmäßig, einzudringen oder sich hineinzuzwängen.

Ich war gerade dabei, den Teig zuzubereiten, als das Licht ausging. Wie ein guter Pfadfinder machte ich im Licht einer Kerze weiter, die strategisch für solche „Notfälle“ bereit stand. Nach einer Weile fiel mir auf, dass der Teig etwas dünnflüssiger war, als ich es für Pasteten erwarten würde. Ich schaute mir das Rezept im Kerzenschein noch einmal an und kam schnell zu dem Schluss, dass ich für die Flüssigkeit Tassen statt Esslöffel verwendet hatte… In der Schule war ich gut in Mathe, also rechnete ich schnell nach und fügte einen Haufen Mehl hinzu. Und noch ein bisschen mehr – bis ich den Teig mit einer Weinflasche ausrollen konnte (der Chivas Regal war nicht rund genug). Als ich zufrieden war, habe ich Kreise ausgestochen und geformt, Mincemeat hineingelöffelt, sie mit einem Teigdeckel verschlossen und die Ränder zusammengekniffen. Ziemlich professionell, eigentlich. Am nächsten Morgen habe ich sie fertiggebacken.

Am Weihnachtsmorgen – das war der 25. Dezember – hatte ich die Gans in den Ofen eines Nachbarn geschoben – wir hatten selbst solche Luxusartikel nicht – und wandte mich dem Weihnachtspud zu. Die Anweisungen waren sehr klar. Eindeutig, um genau zu sein. „Drei Stunden lang in einem Topf mit Wasser köcheln lassen.“ Das habe ich getan.

Plum Pudding

Nach etwa anderthalb Stunden ertönte ein dumpfes „Phtummmmmmm“ aus der Küche, die nun mit dunkelbraunen, klebrigen Schrapnellen/Matsch verziert war. Der Pudding war in der Küche gut verteilt. Ich hatte ihn in der Zellophan-Verpackung gelassen, und offenbar war er unter dem Druck explodiert. (In der Anleitung wird nicht erwähnt, wie man die Verpackung entfernt.) Sie können sich vorstellen, wie viel Spaß das Säubern gemacht hat. Trotzdem lecker süß.

Die Gans war ein Erfolg, und alle hatten eine schöne Zeit. Die Mince Pies waren leider kein ebenbürtiger Ersatz für den Weihnachtspudding. Sie waren steinhart. Aber so schnell haben meine Freunde dieses Weihnachtsfest nicht vergessen.

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Autor: bco

Hallo, ich bin Bernie Cornwell, der bco.harlekin. Wie schon meine Signatur-Kappe unten suggeriert, bin ich Wirtschaftsflüchtling aus England und seit der Brexitabstimmung Wahlexilant. Über Umwege via Sprachunterricht und Sozialarbeit bin ich bei der IT gelandet. Ich war in die Technik total verknallt und nach meinem ersten Realisierungsprojekt bei einer Berufsgenossenschaft habe ich mich als Business Analyst und Projektleiter sukzessiv immer weiter von der Technik entfernt… Inzwischen verdiene ich mein Brot als Berater, Trainer und Coach im Projektgeschäft in jeder beliebigen Branche. Mein Hintergrund und meine Reiselust führen mich überwiegend zu Einsätzen in der ganzen Welt oder/auch bei multikulturellen Unternehmen im deutschen Sprachraum. Mit den Jahren hat sich meine berufliche Einstellung wesentlich geändert. Früher Missionar in der Sache des methodischen Vorgehens, sehe ich mich nun eher als Lebenshelfer im Projektumfeld. Das Arbeiten in einem Projektteam kann lehrreich, stimulierend und begeisternd sein; es soll weder Mission Impossible noch Himmelskommando sein. Projekte können der beste Ansatz sein, Innovation, Wirtschaftlichkeit und reizvolles Arbeiten zu fördern. Warum lieben Projektleiter den „surrealistischen“ Dilbert? Weil er tägliche Projektsituationen darstellt, die wir wiedererkennen. Und weil sie leider recht realistisch sind.

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