Kultur unterwegs: Ännchen von Tharau

Neben beeindruckenden Landschaften und hippen Metropolen bringt unsere kleine Tour durchs Baltikum auch immer wieder Kurioses und Vergessenes zum Vorschein. Diesmal eine Anekdote vom Besuch der Hafenstadt Klaipėda in Litauen. Während ich noch die visuellen Eindrücke des Marktplatzes vor dem Simon-Dach-Brunnen von Klaipėda sortierte, wurde ich von einer Gruppe Rentner eingekreist. Anscheinend kamen sie von einem Kreuzfahrtschiff im Hafen und hatten einen ortskundigen Stadtführer dabei.

Dieser begann in gut verständlichem Deutsch die Geschichte der Dame auf dem Brunnen zu erzählen – Ännchen von Tharau. Er machte das lebendig und spannend, im Stil eines Hörspiel-Krimis, so dass ich dreist in der Gruppe verblieb und mir die ganze Geschichte anhörte.

Danach war/ist Ännchen von Tharau der Titel eines alten volkstümlichen Liedes, geschrieben von Simon Dach aus Memel, Litauen – dem heutigen Klaipėda, vor dessen Brunnen ich zufällig stand. Es entstand im 17. Jahrhundert und besingt in 17 Strophen(!) Anna Neander, die Tochter eines protestantischen Pfarrers, der allerdings die Wirren des 30jährigen Krieges nicht überlebte (1. toter Pfarrer).

Anschließend wächst sie beim Onkel in Königsberg auf, bleibt aber Zeit ihres Lebens der evangelischen Kirche auf heute ungewöhnliche Weise verbunden.

Ännchen heiratete 1636 den Pfarrer Johannes Portatius. Ihr Mann stirbt nach 10 Ehejahren (2. toter Pfarrer), anschließend heiratete sie seinen Nachfolger, den Pfarrer Grube. Dieser stirbt bereits nach sechs Ehejahren (3. toter Pfarrer). Anna bleibt weiterhin im Haus und heiratete den nächsten Pastor, Johann Melchior Beilstein.

Nachdem Ännchen auch ihren dritten Mann überlebt hatte (4. toter Pfarrer), zog sie zu ihrem ältesten Sohn Friedrich – auch der ist inzwischen Pfarrer! Hier starb sie und wurde 1689 auf dem Friedhof der Stadt Insterburg beigesetzt.

Möglicherweise lag es am Stil der Erzählung, aber irgendwie hatte ich eine „Auflösung“ im Stil von Agatha Christie erwartet – kam aber nicht. Damit Schluss? Nun ja, fast!

Insterburg ist zwar eine Kleinstadt südlich von Königsberg, im ehemaligen Ostpreußen. Manch älterem Semester aber ist dieser Name noch durch die Blödelbarden um Ingo Insterburg im Gedächtnis, Insterburg & Co. Und zu deren bekanntesten Liedern gehört „Ich liebte ein Mädchen …“, in dem Insterburg komplizierte Liebesversuche besingt. Obwohl er es nicht extra erwähnt hat – vielleicht war das Ännchen ja auch mit dabei…

Ännchen von Tharau, mein Reichtum, mein Gut,
Du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut!


Käm alles Wetter gleich auf uns zu schlahn,
Wir sind gesinnt, beieinander zu stahn.


Krankheit, Verfolgung, Betrübnis und Pein
Soll unsrer Liebe Verknotigung sein.


(aus „Ännchen von Tharau“)

Bildquellen

  • img_0998.jpg: UTO

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