Kann man Projekte wirklich managen?

„Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie.“
(Kurt Lewin)

 

Woher kommen denn solche Zweifel? Ohne Management und Managen geht doch heutzutage gar nichts mehr. Egal in welchem Bereich, ob gesellschaftlichem, wirtschaftlichem oder privatem. Von der Fusion von Wirtschaftsunternehmen bis hin zur Geburtstagsfeier – das managen wir schon.

Bleiben wir im Kontext von Organisationen, dann besteht große Übereinstimmung in der Definition von dem, WAS zu managen ist: Ziele definieren, Strategien zur Zielerreichung festlegen, Produktionsfaktoren organisieren und koordinieren, sowie – last but not least – Mitarbeiter führen. Bis dahin kein Zweifel.

Verschiedene Bilder von Organisationen

Spannend wird es, wenn wir beobachten, WIE in Organisationen gemanagt wird. Da scheinen verschiedene Denkweisen gleichzeitig zu existieren, denen jeweils andere Bilder von Organisationen zu Grunde liegen. Das Bild von der Organisation als Maschine, eine noch immer verbreitete Metapher des tayloristischen Scientific Management, die Organisation als Ansammlung von Menschen, die alle arbeitsteilig organisiert an der Erfüllung eines gemeinsamen Zweckes arbeiten, und die Organisation als politisches System, in dem statt Funktionalität die politischen Interessen Einzelner dominieren und Entscheidungen durch die Machtverhältnisse geprägt sind.

Die Perspektive prägt den Denkstil

Das sind nur einige Perspektiven, aus denen man das Verhalten von Organisationen beobachten und beschreiben kann.[1] Sie aber prägen Denkstile von Managern und diese haben zu Praktiken geführt, mit denen man in der Vergangenheit auch meistens Erfolg gehabt hatte. Doch in der gegenwärtigen VUCA-Welt erweisen sich diese Praktiken als wirkungslos und schlimmstenfalls als kontraproduktiv. Eine weitere hilfreiche Perspektive liefert wiederum die Wissenschaft. So wie das Newtonsche Weltbild im 20. Jahrhundert das Bild der Maschine für Organisationen geprägt hat, so prägen die Erkenntnisse heutiger Wissenschaft ein Bild von Organisationen als lebensfähige Systeme. Diese zusätzliche Perspektive ermöglicht eine zutreffendere Einsicht in die Funktionsweise einer Organisation und führt zu wirkungsvollerem Denken und Verhalten im Umgang mit hoher Dynamik und steigender Komplexität. Also dort, wo klassische Wenn-dann-Regeln schlicht versagen.

Eigenschaften des sozialen Systems „Projekt“

Aus dieser Perspektive werden Organisationen also als Systeme verstanden und hier prägnanter: als soziale Systeme. Folglich sind temporäre Organisationen, nämlich Projekte, auch soziale Systeme. Ihre wesentlichen Eigenschaften bestehen in[2]

  • ihrer Abhängigkeit von einer relevanten Umwelt. Ohne Umwelt kann ein System nicht existieren. Welchen Sinn macht es für ein Projekt, ohne Stammorganisation, ohne Kunden und Lieferanten zu existieren?
  • ihrer eigenen Steuerungslogik, d.h. Regeln und Strukturen, die eine Eigendynamik entwickeln, welche einmal etabliert nur noch schwer zu beeinflussen ist.
  • ihrer Kommunikation. Projekte als soziale Systeme bestehen aus Kommunikation und existieren nur, solange kommuniziert wird. Und was Systeme am Leben erhält, ist eine bestimmte Form von Kommunikation: Entscheidungen. Ohne Entscheidung passiert gar nichts.

Projektsteuerung als Kette von Entscheidungen

Wenn wir nun statt Organisationen Projekte sagen und durch die „Systembrille“ auf die Ausgangsfrage schauen, dann können wir fragen: WIE „managt“ ein Projektmanager sein Projekt? Er „managt“ es, indem er es steuert. Doch darf hier „steuern“ nicht im Sinne von steuern eines Autos verstanden werden oder entsprechend der Maschinenmetapher von Organisationen nach dem Prinzip „command & control“. Wer also meint, er könnte ein soziales System steuern, ist schlicht naiv. Aus systemischer Sicht kann ein Projekt nur sich selbst steuern. Und wie geht das? Diese Selbststeuerung vollzieht sich über Entscheidungen.[3] Ihnen geht immer die Absicht voraus, einen Unterschied zur gegenwärtigen Praxis einzuführen. Zum Beispiel: Wollen wir in diesem Projekt agile Vorgehensweisen einführen? Oder: Wollen wir uns eine eigene Kaffeemaschine anschaffen? Prinzipiell werden Entscheidungen dann Prämissen für anschließende Entscheidungen. Das Projekt lebt also durch eine Kette von Entscheidungen.

Wer entscheidet was?

Dabei spielt der Projektmanager natürlich eine einflussreiche Rolle, aber nicht nur er, alle anderen Mitarbeitenden im Projekt spielen mit. Auf diese Weise entsteht die projekteigene Operationslogik. Die Selbststeuerung ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die Steuerung von außen. In der Praxis erfahren wir nur zu oft, dass die Stammorganisation (Linienmanagement) in die Selbststeuerung von Projekten eingreift. Hierfür hat Willke[4] den Begriff der Kontextsteuerung geprägt. Es wäre eine gravierende Ursache von Projekthavarien überwunden, wenn in der Beziehung zwischen Linienorganisation und Projekt ein passendes und ausgewogenes Verhältnis von Kontext- und Selbststeuerung verhandelt, vereinbart und beibehalten werden würde. Verkürzt gesagt geht es um die Kernfrage: Wer entscheidet was? Die Selbststeuerung des Projektes schließt die Beobachtung der und die Beeinflussung durch die relevante Umwelt ein. Das ist ganz wesentlich für die Autonomie des Projektes. Wie gesagt: kein System ohne Umwelt.

Kommen wir nun zurück zur Titelfrage: Kann man Projekte wirklich managen? Im Prinzip ja, aber nur im Sinne der Selbststeuerung sozialer Systeme. Statt des Begriffs „managen“ wäre m.E. der Begriff „steuern“ passender im Sinne des kybernetischen Steuermanns, denn er impliziert ein Ziel und Leitplanken für den Weg zum Ziel. Dabei sollten Projektmanager ihre Beobachtung auf die Beziehung zwischen Kontext- und Selbststeuerung richten. Und auf die Fähigkeit, bedeutsame Unterschiede zu entdecken, die Entscheidungen für die Zukunftsfähigkeit ihres Projektes erfordern. Methoden, Tools und Techniken sind zwar auch Einflussgrößen auf das Projektgeschehen, aber weniger beteiligt am Erfolg. Eine große Herausforderung für Projektmanager ist, die Autonomie des Projektes zu behaupten gegen unabgesprochene und willkürliche Eingriffe aus dem Umfeld.

Und noch ein Fazit: Der Schlüssel für neue Wege zu erfolgreicheren Projekten liegt im Denken und Handeln nach systemischen Prinzipien.

 

 

[1] Morgan, G. (2008): Bilder der Organisation. Stuttgart (Schäffer/Poeschel)

[2] Boos, F.; Mitterer, G. (2014): Einführung in das systemische Management. Heidelberg (Carl-Auer-Systeme-Verlag)

[3] Luhmann, N. (2000): Organisation und Entscheidung. Opladen/Wiesbaden (Westdeutscher Verlag)

[4] Willke, H. (1998): Systemtheorie 3. Steuerungstheorie. Stuttgart (Lucius&Lucius) 2.Aufl.

 

Bildquellen

  • Harlekin2-klein: Bildrechte beim Autor

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