Innovation oder Verfall? Blame Management (Teil 2)

Undokumentierte, aber gelebte Prozesse des Projektmanagements

Während wir uns in Teil 1 einleitend der Bedeutung dieses fälschlicherweise so verteufelten Themas in der Gesellschaft und den Unternehmen gewidmet haben, soll es nun konkreter werden.

 

Dafür bedarf es zwingend des einheitlichen Verständnisses, worum es überhaupt geht.

Begriffsdefinition
Der englische Begriff «blame» (deutsch: Schuld) ist auch im deutschen Sprachraum seit geraumer Zeit sehr geläufig, dort allerdings vermehrt in seiner Verlaufsform «blaming», also beschuldigen, jemandem die Schuld an etwas geben. Im Unternehmensumfeld sollten wir m.E. die Definition so erweitern, dass sie besser zu den tatsächlichen Gepflogenheiten passt:

«Zuweisen von Verantwortung für negative Ereignisse oder Umstände auf die unterste noch plausible, aber politisch schutzloseste hierarchische Ebene.»

Zweck
Das Blamemanagement (BM) stellt sicher, dass für alles, was garstig daneben geht, schnell und erkennbar ein politisch akzeptabler Sündenbock gefunden und angemessen zur Rechenschaft gezogen wird.

Umfang und Inhalt
Auf keinen Fall sollte hier zu eng gedacht werden. Von sich abzulenken und dafür die Schuld anderen zuzuweisen gehört unbedingt dazu. Im BM geht es um folgende Verfehlungen, die zwingend auf Projektebene zu sanktionieren sind:

  • Ungenauigkeit in der Vorhersage der Zukunft
  • Übersehen von «unknown unknowns»

BM in agilen Projekten
Im Wesentlichen unterscheidet sich BM in agilen Projekten nur wenig. Nichts desto trotz existieren ein paar Besonderheiten. Durch die iterative Vorgehensweise lässt sich dieser Prozess häufiger durchlaufen. Dabei ist aber unbedingt auf selbstorganisiertes BM zu achten. Dabei sollten folgende Prinzipien beachtet werden:

  • Linien- und Projektmanager sollten grundsätzlich und immer vor jeglicher Verantwortung für eigene Handlungen geschützt werden.
  • Schuldzuweisung erfolgt- entsprechend der oben genannten Definition – immer auf der untersten noch plausiblen, aber politisch schutzlosesten hierarchischen Ebene.

BM planen
Wenn, wie in Teil 1 behauptet, BM längst schon gängige und erfolgreiche Praxis ist, wozu dann noch eine detaillierte Prozessbeschreibung? Wie bei allen anderen Projektprozessen auch, muss der Einzigartigkeit eines Projektes Rechnung getragen werden. Es bedarf also der projekt-spezifischen Planung des BM. Dabei gilt es, die Ziele und Massnahmen an den Projektspezifika auszurichten und zu dokumentieren. Es gilt also festzulegen, wie BM angegangen, geplant, ausgeführt und die Wirksamkeit überwacht werden soll. Dabei gilt es die folgenden vier zentralen Prozessgruppen zu durchlaufen:

  1. Vorbereitung und Identifikation
  2. Analyse durchführen
  3. Antwortstrategien entwickeln
  4. Wirksamkeit überwachen

    Blame vorbereiten und identifizieren
    Der Hauptnutzen dieses Prozesses ist, sicherzustellen, dass das Ausmass, die Art und die Präsenz des Blamemanagements der Bedeutung des Projekts angemessen ist.
Inputs Tools & Techniken Outputs
Business Case Expertenurteil Blamemanagement-plan
Verträge Datensammlung Blameregister
Gerüchte Meetings
Erfahrungen aus bereits abgeschlossenen Projekten Blamestorming

Blamepotentiale feststellen
Schuldzuweisungspotentiale feststellen ist der Teilprozess, indem potentielle und existierende Risiken, Probleme und Ereignisse identifiziert werden, die die Zuweisung von Schuld erfordern könnten. Darüber hinaus umfasst dieser Teilprozess auch die Identifikation potentieller Sündenbock-Kandidaten.

Der Hauptnutzen dieses Teilprozesses liegt in der Dokumentation der bestehenden einzelnen Risiken, Probleme und Ereignisse und der Einschätzung des Gesamtblamepotenzials. Er vereint ausserdem Informationen, so dass das Projektteam angemessen auf identifizierte Optionen reagieren kann. Dieser Teilprozess wird während des gesamten Projekts durchgeführt.

Blamekandidaten identifizieren
Während das klassische Risikomanagement vier Antwortstrategien kennt, beschränkt sich das Blamemanagement auf eine, den sogenannten Transfer (Übertragung).

Proaktives Blamemanagement wartet nicht auf das erstmalige, zufällige Eintreten eines blamefähigen Ereignisses, sondern versucht sie bei Bedarf herbeizuführen. Hierfür müssen zunächst geeignete Blamekandidaten identifiziert werden. Dabei gilt es folgendes zu beachten:

  • Nur Kandidaten, die glaubhaft verantwortlich gemacht werden können und über zu wenig politischen Einfluss verfügen, um sich selbst zu schützen, eignen sich!
  • Sollten zu wenig interne Kandidaten gefunden werden, konzentrieren Sie sich auf externe Mitarbeiter.
  • Sollte auch das nicht möglich sein, bemühen Sie Faktoren wie die Vorsehung, das Schicksal, Kunden, die Regierung oder Ausserirdische.

In einer zweiten Runde gilt es diejenigen zu identifizieren, die NICHT als Kandidaten in Frage kommen. Verwechslungen können dramatische Folgen haben.

Dazu gehören meist:

  • Entscheidungsträger bzgl. projektrelevanter Aspekte
  • Einzelbürobesitzer, Eigentümer reservierter Parkplätze usw.
  • Individuen mit guten Beziehungen zu oben genannten

 

Ausblick auf das nächste Kapitel
Im nächsten Kapitel werde ich mich mit der Blameanalyse, inklusive Blamepriorisierung, der Auswahl der richtigen Blameereignisse und dem Blamemonitoring beschäftigen. Bis dahin haben Sie die Gelegenheit, die oben beschriebenen Planungs- und Identifzierungsprozesse anzuwenden.

Viel Erfolg dabei wünscht Ihnen Ihr Harlekin vom Zürichsee!

 

Bildquellen

  • pixelio. de © Gerhardtrn: Dr. Klaus-Uwe Gerhardt / pixelio.de

Autor: rge

Hallo, ich bin Rüdiger Geist, der rge.harlekin vom Zürichsee. Als Politikwissenschaftler verlor ich sehr schnell den Glauben an Rationalität und den homo oeconomicus. Also suchte ich mir was Handfesteres und Logischeres: die Informatik. Feste Regeln, unmittelbares Feedback vom Compiler und nicht viel mit Menschen zu tun haben. Ihr erahnt es schon, es kam ganz anders. Schnell wurde ich zum Projektleiter ernannt, hörte sich auch toll an, wusste aber nicht so genau was das eigentlich ist. So nach etwa drei Jahrzehnten im Umfeld von Projekten meine ich nun zu wissen worum es da geht und so trage ich nun meine Erkenntnisse seit 2005 mittels eigenem Unternehmen in die Welt hinaus, ja sogar in die EU. Es gibt so viele schöne Zitate, die die unterschiedlichsten Facetten des Projektmanagements beschreiben und ich nutze sie gerne. Aber das beste stammt natürlich von mir selbst: Der Zweck des Projektmanagement ist «no surprises».

Ein Gedanke zu „Innovation oder Verfall? Blame Management (Teil 2)“

  1. Hallo Rüdiger, wunderbarer Text.
    Ich habe gerade in einem Projekt die Erfahrung gemacht, dass jemand über einen Kollegen sagte: „Ist egal, was der macht, ist eh Sch….“. Und im Spiegel steht ein Artikel über den Umgang mit Fehlern in deutschen Firmen (http://www.spiegel.de/karriere/fehler-am-arbeitsplatz-umgang-in-unternehmen-oft-nicht-konstruktiv-a-1233150.html). Der Inhalt ist nicht überraschend: Es gibt noch viel zu tun für uns! 🙂

Schreibe einen Kommentar zu Heike B. Fillhardt Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert