Innovation als Mittel zum Zweck

Dieser Beitrag wurde  von unserem „Gastautor“ Peter Schulz geschrieben. Peter (er-)lebte über 35 Jahre in unterschiedlichen Funktionen die Kultur multinationaler Unternehmen und Start-ups, gründete einen interaktiven Jugend-Fernsehsender (Joiz) und beriet grosse  Medien- und Softwareunternehmen bei der Gestaltung und Umsetzung innovativer Geschäftsmodelle. Seit September 2017 reist und arbeitet er als digitaler Nomade mit seiner Frau und dem Hund Joiz durch Europa und Nordafrika. 

Krisensitzung in einem beliebigen Unternehmen. Der Vertriebsleiter berichtet über sinkende Umsatzzahlen und steigenden Konkurrenzdruck. Der Entwicklungschef beschwert sich über die ständig wechselnden Prioritäten und Anforderungen des Vertriebs.  Der Marketingleiter verkündet, dass sich mit dem verkleinerten Budget die gesteckten Ziele nicht erreichen lassen und der CEO erklärt, dass die Anleger und Investoren mehr Profit und spürbare Kosteneinsparungen erwarten.

 Die Lösung all dieser Probleme ist schnell ausgemacht – es braucht mehr Innovation!!

Klar doch – neue, günstiger hergestellte Produkte, die bisher noch nicht bearbeitete Kunden und Märkte adressieren. Wie dies erreicht werden kann, weiss der eigens herbeigerufene Unternehmensberater. Dieser redet über Change Management, Design Thinking, Kopfstandmethode, Cultural Change, Reizwortanalyse oder Co-Star Methodologie.

Daraufhin werden schnell neue Arbeitsgruppen und Co-working Teams zusammengestellt mit der Aufgabe  „jetzt seid einfach mal kreativ und denkt über den Tellerrand hinaus“. Der CEO erhofft sich schnelle Resultate, die bei gesunkenen Produktionskosten höhere Margen erzeugen. Der Vertrieb erwartet neue Produkte, die sich wie von allein verkaufen und dabei hohe Zielerfüllung und Boni garantieren. Die Entwicklung glaubt an eine Bestätigung des bisher eingeschlagenen Weges und will mehr Geld. Die Marketing- Abteilung fordert die Aufstockung des Budgets.

Die Ergebnisse all dieser Workshops, Kreativ-Meetings und Arbeitsgruppen, sollten sie denn überhaupt zustande kommen, sind oft ernüchternd und von der Realität so weit entfernt wie das Eintreten des Weltfriedens unter Präsident Donald Trump. Warum ist das so?

Für all diese Dinge braucht es Innovation. Wikipedia definiert Innovation wie folgt:  „Innovation heißt wörtlich „Neuerung“ oder „Erneuerung“. Das Wort ist vom lateinischen Verb innovare (erneuern) abgeleitet. In der Umgangssprache wird der Begriff im Sinne von neuen Ideen und Erfindungen und für deren wirtschaftliche Umsetzung verwendet. Im engeren Sinne resultieren Innovationen erst dann aus Ideen, wenn diese in neue Produkte, Dienstleistungen oder Verfahren umgesetzt werden, die tatsächlich erfolgreiche Anwendung finden und „den Markt durchdringen“.

Erneuerung erfordert in erster Linie ein „sich lösen“ vom Bestehenden und die Zusammenarbeit von Leuten unterschiedlicher Fähigkeiten und Sichtweisen in einem Team. Das Einrichten einer hippen Kaffee-Ecke mit rotem Ledersofa und das anschliessende Warten auf das Eintreten des „Google-Effekts“ reicht dafür aber nicht aus. Eher schaut Godot kurz vorbei.

Die interdisziplinär zusammengewürfelten Teams, die im Sinne von Design-Thinking neue bahnbrechende Ideen und Produkte erarbeiten sollen, bewegen sich allzuoft nur in ihrer Komfortzone bzw. ihren gelernten Denkmustern. Ich möchte dies an einem anderen Beispiel erklären.

Vor einigen Jahren moderierte ich ein Seminar für die internationalen Key Account  Management Teams eines grossen Unternehmens der Telekommunikationsbranche. Das Ziel war die Definition einer (für den Kunden passenden) Account Strategie, die primär auf die Bedürfnisse des Kunden und nicht nur auf die Boni der nationalen Account Teams ausgerichtet war. Eine Grundvoraussetzung dafür war die Erkenntnis, dass die Zufriedenheit des Kunden in der Gesamtheit der Betreuung wichtiger ist als die Leistung eines einzelnen (nationalen) Account Teams.

Damit die Teams verstehen, warum sich die Zusammenarbeit oft so schwierig gestaltet, bat ich die Teilnehmer jedes vertretenen Landes, eine bekannte Person vorzustellen, welche die Werte ihres Landes am besten repräsentiert. So lernten die Teilnehmer, dass z.B. für  Asiaten die Einordnung im Team, Harmonie, Einklang mit der Natur und Respekt gegenüber hierarchisch höher gestellten Personen (z.B. der königlichen Familie) in Kontrast zur Freiheit und Entfaltung der Persönlichkeit (USA) oder einer klaren Führungs- und Aufgabenstruktur (Deutschland) stehen.

Diese kulturellen Werte, die jeder Teilnehmer in seiner Erziehung erfahren hat, sind die gleichen, die er (oder sie) auch in den Arbeitsgruppen vertrat. Hier trafen dann das Herausstellen der eigenen Person auf die Einordnung in der Gruppe und/oder das freie Denken auf die geordnete Vorgehensweise. Genau das stellte sich auch in den Arbeitsgruppen heraus, in denen die Vertreter unterschiedlicher Unternehmensbereiche zusammentrafen. Der Vertrieb vertrat die Kultur des Verkaufs, die Produktion sah den Aufwand und die Kosten der Herstellung usw.

Aber selbst als diese Teams im gemeinsamen Verständnis etwas (wirklich) Neues erarbeitet hatten, trafen sie  bei der Rückkehr in ihre Abteilungen auf Manager, die den erarbeiteten Ergebnissen skeptisch (um nicht zu sagen negativ) gegenüberstanden. Die Manager gewichteten die Ziele ihrer eigenen Abteilungen und das Festhalten an bestehenden Abläufen höher als den mögliche Vorteil neuer (innovativer) Vorgehensweisen.

Neue Ideen, so sie denn tatsächlich entstehen, erfordern Veränderung. Veränderung kostet. Veränderung kostet Zeit, Geld und meist auch das Aufgeben ge- und erlernter Erfahrungen. Für Innovation braucht es Veränderung und diese impliziert Risiken.

Egal ob Design Thinking, Change Management oder Brainstorming – Innovation braucht eine sie fördernde und „zulassende“ Unternehmenskultur. Wer Innovation nur als Mittel zum Zweck versteht oder glaubt, dass sich damit kurzfristig bestehende Probleme lösen lassen, liegt falsch oder – um es mit den Worten des Entrepreneurs Vivek Wadhwa zu sagen – „A key ingredient in innovation is the ability to challenge authority and break rules“.

In einem alten Sprichwort heisst es „Wer A sagt, muss auch B sagen“ – übertragen auf die heutige Zeit: „Wer Innovation will, muss sie auch zulassen“. Auch wenn es manchmal weh tut.

 

Autor: bbr

Hallo, ich bin Beate Brinkman, der bbr.harlekin. Ich bin Redakteurin und Autorin für den Harlekin.Blog e.V. und im “Hauptberuf” in einem international agierenden IT-Unternehmen als Support Coordinator tätig. Bisher habe ich in deutschen, niederländischen, amerikanischen und indischen Unternehmen gearbeitet und viele Erfahrungen mit multikultureller Zusammenarbeit machen dürfen. Seit vielen Jahren lebe ich als Deutsche in den Niederlanden und habe festgestellt, dass schon allein die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschen und Niederländern ganze Bücher füllen können. Aus beruflichen und privaten Gründen gilt dem multikulturellen (Miss-)Verständis mein besonderes Interesse. Ob es um Essen, Sprache, dienstliche Conference Calls oder die Gestaltung von Begräbnissen geht – wenn die Kulturen mehrer Länder aufeinander stoßen, wird es spannend. Und das führt zu manchmal unerfreulichen, oft sehr komischen, aber immer lehrreichen Situationen.

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