
Heute Morgen, nach dem Yoga-Flow-Programm und der Fütterung der Vögel im Garten, entdeckte ich in der Zeitung einen Artikel, der mich in die Vergangenheit reisen ließ: Der Bauer-Verlag öffnet sein Bravo Archiv von 1956 – 1994 (https://www.bravo-archiv.de/home.php).
Jaja, die Bravo. Als ich sie damals entdeckte, mit 12, kurz vor den Olympischen Spielen in München, war ich sofort eine der Millionen begeisterten Leserinnen. Denn als ich 12 war, bestand mein Leben aus Schule, Hausaufgaben, Treffen der Freunde auf der Straße und am Wochenende weitgehend aus Langeweile. Da war die Bravo eine dankbare Ablenkung, schürte sie doch für eine 12-jährige Heranwachsende vielfältigste Fantasien.
Auch ich habe die Bravo anfangs heimlich unter der Bettdecke gelesen. Und manchmal gemeinsam mit 3 Freundinnen, wenn wir uns die Bravo für ca. 80 Pfennige teilten.
Besonders haben mir die Starschnitte gefallen. Zum Beispiel habe ich den von Superschwimmer Mark Spitz gesammelt (https://www.bravo-archiv.de/auswahl.php?link=starschnittraster4.php). Auf meiner mit geblümter Tapete verzierten Wand entfaltete sich fast lebendgroß ein perfekter Schwimm-Body, bei dem zum Schluß nur die linke Wade fehlte. Entweder das Taschengeld reichte nicht oder aber ich hatte mal wieder eine nicht ganz zufriedenstellende Note in irgendeinem Fach wie Mathe mit nach Hause gebracht, was wiederum meine Eltern dazu veranlaßte, mich ganz ohne Taschengeld ziehen zu lassen. Wen interessiert schon eine fehlende Wade. Das aufregendste waren ja eh die vielen Medaillen auf seiner Brust!
Wie komme ich denn nun auf die Bravo? Wieso habe ich plötzlich Zeit, mich mit lange Vergessenem zu beschäftigen? Vor allem mit einem völlig irrelevanten Thema?
Meine Tochter ist „aus dem Haus“, der Ex wohnt auch anderswo und als Solo-Unternehmerin habe ich gerade ein paar Wochen Zwangs-Sabbatical. Nun muß ich zu Hause bleiben und in meinem Garten sitzen, Bücher lesen, mir täglich frisches Essen kochen (oder die Gastronomie im Ort unterstützen, indem ich mir was Leckeres bestelle), ich schaue Filme oder räume mal richtig die Wohnung auf.
So langweilig sich diese Beschreibung auch liest, ich finde mein Leben gerade überaus inspirierend. Mir scheint, daß in Zeiten von Langeweile mein Fokus plötzlich weiter wird. Ich bemerke wieder Dinge, die ich lange nicht bemerkt habe:
Die Mäuse im Garten zum Beispiel, die ich geduldig mit Lebendfallen einzufangen versuche. Dabei habe ich gelernt, daß man Lebendfallen auch regelmäßig kontrollieren sollte, sonst hätte man direkt Schnappfallen nehmen können.
Oder der Frühling mit all seinen wunderbaren Farben, Gerüchen und Erlebnissen. Ich habe Zeit, den Garten umzugraben, zu säen, zu pflanzen, die Vielfalt und den Lebenszyklus der Blumen mitzuerleben. Wobei ich gerade lerne, daß ein Garten auch zu viele Blumen haben kann.
Ich habe auch Zeit, mit anderen, die Langeweile empfinden, ausgiebig zu telefonieren, zu skypen oder zu zoomen. Und ich lerne dabei auch gerade, wie intensiv ein Persönlichkeits-Coaching sein kann, obwohl man den Kunden mit der Kamera begleitet und nicht vor Ort ist.
Ich habe Zeit, zu meditieren und Achtsamkeit zu üben.
Ich habe jetzt gerade Zeit, lange zu weilen.
„Langeweile“ in seiner negativen Ausprägung gibt es in meinem Leben schon lange nicht mehr. Wer von Ort zu Ort, von Kunde zu Kunde, von Meeting zu Gespräch flitzt, wer sich interessiert für „Gott und die Welt“, hat keine Zeit für Langeweile. Aber leider ist es mir auch in seiner positiven Ausprägung abhanden gekommen. Ich verweile manchmal nur gestreßt. Wer entspannt verweilt, kann Schönes entdecken. Der Ausdruck „Eile mit Weile“ bekommt für mich gerade eine neue Bedeutung.
Ich habe mir in meinem Berufs-Leben zu wenig Lange-Weile gegönnt. Das ändere ich gerade. Was immer ich jetzt mache, dem widme ich mehr Zeit als bisher (hoffentlich). Und ich staune, was es alles zu entdecken gibt. Zum Beispiel das Archiv der „Bravo“.
Brava.
Bildquellen
- at-home: Anrita1705 / Pixabay
Super schöner Artikel, die Brücke zum lang weilen gefâllt mir sehr gut.
Danke für die Inspiration.
Das ist doch keine Langeweile, sondern die Entdeckung von altem und neuem. Mal die Muße haben lange Weile haben …
…und lange weilen können und dürfen
…und eine Weile lange genießen zu können!
Das ist doch keine Langeweile, sondern Zeit altes und neues zu entdecken!
Die Zeit haben dürfen
… lange zu weilen,
…zu weilen um lange zu genießen!
Diese Langeweile wünsche ich mir eine lange Weile!