Glänzen durch Abwesenheit…

uto.harlekin

Was in der Schule noch – mehr oder weniger kreativ – entschuldigt werden musste und für Handwerksunternehmen immer noch ein Grund zur Kündigung ist, nämlich regelmäßige Abwesenheit, mausert sich in den Büros des neuen Jahrtausends zur effizientesten Arbeitsorganisation. Gemeint ist der momentan trendigste Vertreter, das virtuelle Team, eine konsequente Weiterentwicklung des viel bekannteren Home-Office.

In vielen Unternehmen hat es eher zufällig begonnen. Die Kollegin wollte nach der Babypause wieder einsteigen, allerdings fehlte ein Arbeitsplatz mit Schreibtisch im Büro, – wie wäre es mit Home-Office? Der Kollege ist über das Jahr ca. 4 Tage/Woche beim Kunden und sein Büro steht die meiste Zeit leer, – wie wäre es mit Home-Office?

Schon bei dieser „Notlösung“ profitieren vom Home-Office alle Beteiligten! Der Arbeitgeber spart das Büro und damit Mietausgaben, beim Arbeitnehmer zählen Zeit und Kosten für den Arbeitsweg und häufig flexiblere Arbeitszeiten. Und dann wird auch noch das Gesamtsystem profitabler, denn einer Stanford-Studie aus dem Jahr 2013 zufolge steigt im Homeoffice die durchschnittliche Produktivität von Mitarbeitern um deutlich mehr als 10 Prozent. Die Heimarbeiter waren seltener krank, arbeiteten konzentrierter und brauchten deutlich weniger Zeit für ihre Mittagspausen. Das erfolgreiche Homeoffice war/ist der 1. Beweis, dass Leistung nicht an einen Ort gebunden ist.

Inzwischen tingeln Menschen als „digitale Nomaden“ durch die Welt und schnuppern die mittelalterliche Welt der Wandergesellen in den digitalen Hochburgen unserer Zivilisation. Ohne Internet und genügend Bandbreite geht natürlich nichts. In den meisten Fällen ist hier allerdings weniger Lernen und Wissensaustausch der treibende Faktor, sondern die Neugier auf das Fremde und der Spass an der Freiheit. Das war bei den Wandergesellen aber auch schon der Fall. Und wer nicht gerne alleine reist und arbeitet, der bezahlt einem hippen Dienstleister min. 1000$ im Monat und wird offizielles Mitglied im Stamm der WiFis -> https://wifitribe.co.

Wenn man jetzt – im Stile digitaler Alchemie – die Erfahrungen aus dem Home-Office mit der Arbeitsumgebung der digitalen Nomaden kombiniert und dabei mehreren Mitarbeitern ein gemeinsames Ziel vorgibt, dann haben wir die wesentlichen Bausteine des „virtuellen Teams“. JA, die Mitarbeiter können dabei über hunderte oder tausende Kilometer auf verschiedenen Kontinenten voneinander entfernt sein – aber sie müssen das nicht. Ein „virtuelles Team“ kann auch nur über das Rhein-Main Gebiet verteilt sein und im direkten Vergleich ein „richtiges Team“ mit Anwesenheit im Büro locker als 2. Sieger hinter sich lassen.

Der inzwischen übliche Begriff „virtuelles Team“ wird allerdings berechtigt kritisiert. Schließlich hat virtuell im allgemeinen Verständnis auffallend wenig mit den wesentlichen Merkmalen dieser trendigen Arbeitsform zu tun. Denn dort geht es – als kleinster gemeinsamer Nenner – um eine geografisch verteilte Gruppe Menschen (mit gemeinsamem Ziel) und intensive Nutzung moderner, digitaler Technik. Virtuell in der sonst üblichen Bedeutung von „dem Anschein nach“ oder „künstlich“, wie bei virtueller Realität, ist hier definitiv nicht gemeint. Möglicherweise waren Vorläufer aus dem Büroalltag die Namenspaten, so wie virtuelles Laufwerk oder virtuelles Büro, wobei diese Begriffe ja genau diesen zweideutigen Hintergrund haben: Es sieht zwar so aus – ist es aber nicht! Aber wollen wir mal nicht zu pienzig sein.

Und wie das halt so ist, wenn eine Wortschöpfung einmal die Bühne der öffentlichen Aufmerksamkeit erklommen hat – und auch die hinteren Reihen glauben verstanden zu haben, um was es eigentlich geht – dann sollte man an diesem neuen „Fachbegriff“ nicht mehr rumschrauben. Schließlich erschließt sich die Bedeutung eines Begriffs im Deutschen nicht immer über seine Bezeichnung. Erinnern wir uns schmunzelnd an den Overhead/Wasserkopf im Betrieb oder die immer wieder auftauchenden Manntage in der Projektplanung.

Das virtuelle Team ist zeitgemäß, es nützt den Beteiligten und der Umwelt. Und sein wir ehrlich, im Gespräch mit den neugierigen Nachbarn beim Brötchenkauf hört sich die Erklärung „Ich arbeite halt in einem virtuellen Team!“ für das unerwartete Treffen beim Bäcker um kurz vor 9:00 deutlich knackiger an, als: … „ich mache heute Home-Office“.

Obwohl gut gemeint, fühlen sich nicht selten Mitarbeiter im virtuellen Team (aber auch im Home-Office) abgeschoben. Ihnen fehlen die vertrauten Bürorituale; der Kampf um die besten Parkplätze, die Teilnahme an „richtigen“ Meetings, Mittagspausen mit Kollegen und die übliche Gerüchteküche am Kopierer.

Aber wie beendete Prof. Grzimek regelmäßig seine legendäre Fernsehserie aus dem letzten Jahrtausend – Ein Platz für Tiere !? … über diese seltene Spezies berichten wir ein anderes Mal!“

Bildquellen

  • 27144928 – circus artists: 123rf.com

Ein Gedanke zu „Glänzen durch Abwesenheit…“

  1. Spannendes Thema! Allerdings seeehhhr kontrovers. Während einige Konzerne die Anwesenheitspflicht für Angestellte und „9to5“ gerade wiederentdecken sind andere agil dabei, flexible Arbeitszeitmodelle erstmalig einzuführen. Auch die Bankenszene poliert mit virtuellen Teams und Vertrauensarbeitszeit ihr ramponiertes Image als moderner und flexibler Arbeitgeber. Das sich Banken erst in Zeiten der Blockchain und der wachsenden Konkurenz durch Fintecs daran erinnern noch Mitarbeiter zu haben, ist nicht wirklich agil. Wie auch immer, im Digital Campus, FFM der Commerzbank soll bis 2020 das Unternehmen fit gemacht werden, für die Zukunft – „für den Sprung in durchgängig digitale Geschäftsprozesse“. Ob man dann wohl auch in virtuellen Teams von IRGENDWO arbeiten kann, anstatt sich für die Fahrt in den digitalen Campus durch den morgentlichen Stau zu quälen ??

    Einen vertiefenden Einblick gibt übrigens die Ende 2017 veröffentlichte Studie „Flexible Arbeitszeitmodelle“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz. (BAuA)
    https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Praxis/A49.pdf?__blob=publicationFile

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