DNA-Detektive (Teil 1)

Familienzuwachs – rückwirkend

Während der Corona-Pandemie stieg die Zahl der Abonnementen auf Genealogie-Webseiten auf über 10 Millionen, und bis heute wurden etwa 30 Millionen DNA-Proben zur Analyse eingereicht. Die freie Zeit zu Hause – und vielleicht auch das Nachdenken über die eigene Sterblichkeit – scheint die Neugier der Menschen auf ihre Wurzeln angefacht zu haben. Im Jahr 2019 schrieb ich in „Big Brother is alive and living in Canada“ über meine Erfahrung, als ich durch einen DNA-Abgleich herausfand, dass ich einen Halbbruder habe. Seitdem habe ich mich weiter in die Vergangenheit meiner Familie vertieft und mittlerweile gibt es mehr als 6000 Namen in meinem Stammbaum. Ich stehe regelmäßig mit Menschen in Kontakt, von denen ich nicht wusste, dass es sie gibt, die durch vermutete familiäre Verbindungen und die Leidenschaft, mehr über ihre Vorfahren zu erfahren, miteinander verbunden sind und häufig unzählige “Leichen im Keller“ entdecken.

Viele Menschen, vor allem in Deutschland, schauen mich verwundert an, wenn ich von meinem Hobby erzähle. In den USA, Kanada, Australien und Neuseeland gibt es eine Einwanderervergangenheit zu entdecken, und oft auch die leise Hoffnung, dass es in der eigenen Familiengeschichte irgendwo eine Prominenz oder sogar einen Adeligen gab. Die Australier schämen sich nicht mehr, wenn sie erfahren, dass ihr Vorfahre ein Sträfling war, der in die südliche Hemisphäre transportiert wurde. Aus der Geschichte ist bekannt, dass viele Gefangene wegen Bagatelldelikten wie dem Diebstahl eines Taschentuchs oder auch nur wegen ihrer Armut verbannt wurden. Da die Gefängnisschiffe auf der Themse überladen waren, wurde das „Problem“ einfach exportiert, so wie wir es heute mit unerwünschtem und oft giftigem Müll machen.

Ob die Migranten nun freiwillig, als Flüchtlinge vor Armut, Krieg, Schulden, Missernten und Landverlust (klingt vertraut, nicht wahr?) oder als Abenteurer kamen, oder unfreiwillig, als Sklaven und Sträflinge – ihre Nachkommen haben ein natürliches Bedürfnis, ihre Wurzeln zu entdecken.

Solange ich denken kann, ist die Ahnenforschung im Vereinigten Königreich ein beliebter Zeitvertreib. Auch hier besteht die Hoffnung, einen berühmten oder berüchtigten Vorfahren zu entdecken, und selbst im eher prüden Großbritannien war die Feststellung der Abstammung von einem unehelichen Kind der königlichen Familie schon immer ein Abzeichen, das man mit Stolz tragen konnte! Hinzu kommt die Faszination für die Geschichte und die grundsätzliche Neugierde, woher wir ursprünglich stammen und ob wir mit jemandem mit demselben Nachnamen entfernt verwandt sind.

In der Vergangenheit war die Forschung ein mühsames Unterfangen. Gemeinderegister wurden in England am 5. September 1538 von Thomas Cromwell (NICHT Oliver), dem Berater von König Heinrich VIII. eingeführt, nachdem er eine Reise durch Europa unternommen und festgestellt hatte, dass andere Länder diese hatten. Cromwell spielte eine Schlüsselrolle bei der Gründung der Kirche von England, nachdem der König die Kirche von Rom verlassen hatte. Die ersten Kirchenbücher wurden auf Pergament – einer Tierhaut – geschrieben, wodurch sie besser aufbewahrt werden konnten. Jeder Pfarrer, Vikar oder Kurat war gesetzlich verpflichtet, jede Hochzeit, Taufe und Beerdigung in seiner Gemeinde in ein Buch einzutragen.

Der Forscher wird oft mit Aufzeichnungen konfrontiert, die im Laufe der Jahre durch Feuer oder schlechte Lagerung beschädigt wurden, und dazu kam noch die Herausforderung, die Handschrift des Pfarrers zu lesen. Hier kann die Wissenschaft der Entzifferung solcher Aufzeichnungen – die Paläographie – eine große Hilfe sein. In Großbritannien wurde die Rechtschreibung bis zum 18. Jahrhundert nicht richtig vereinheitlicht, so dass die Namen häufig unterschiedlich geschrieben werden. Darüber hinaus wurde erst im 20. Jahrhundert systematisch archiviert, so dass man gezwungen war, einzelne Kirchen aufzusuchen, in der Hoffnung, dass alle gesuchten Informationen dort vorhanden waren.

Im Vereinigten Königreich werden seit 1801 jedes Jahr Volkszählungen durchgeführt. Damit wurden feste Formate für die Informationen darüber eingeführt, wer sich am 1. April in einem bestimmten Gebäude aufhielt. Man muss nur wissen, wo X in einem bestimmten Jahr gelebt hat.

Die Digitalisierung hat große Fortschritte gebracht: Die Aufzeichnungen wurden zunächst mikroverfilmt, dann gescannt und sogar transkribiert. Der Zugang hat sich von der Kirche über die Diözese bis hin zur Grafschaft und schließlich zu Online-Datenbanken ausgebreitet, die von mormonischen und jüdischen Organisationen stark gefördert werden. Das macht die Forschung sehr viel einfacher: Jetzt ist die Masse der Daten und damit der unzähligen gleichnamigen Personen das beängstigende Problem. In den Familien wurden die Kinder traditionell nach Eltern, Großeltern und Paten benannt. Das führte zu unendlich vielen Doppelungen. Allein in der Familie meines Vaters gab es immer einen John, Richard, Thomas, James, eine Hannah, Mary, Elizabeth oder Sarah, und oft die meisten von ihnen, wenn nicht sogar alle in einem Zweig.

In den Kirchenbüchern finden sich nur lückenhafte Angaben zu den Eltern der Kinder oder den Eheleuten, geschweige denn zu den Geburtsdaten, und so beginnt die Arbeit, indem man mehrere mögliche Spuren ausprobiert und eine nach der anderen ausschließt. Die Datenbanken beschleunigen das Zusammentragen von Möglichkeiten und überlassen Ihnen die Zuordnung. Es gibt „Hinweise“, bei denen ein Algorithmus mögliche Treffer vorschlägt und andere Stammbäume findet, die die Zielperson enthalten. Es gibt keine Garantie, dass diese Informationen korrekt sind – manche Forscher sind nicht allzu streng, wenn es darum geht, Personen zu verbinden, auch wenn sie woanders oder einige Jahrzehnte früher oder später gelebt haben…

Mehr über die Möglichkeiten der Ahnenforschung im digitalen Zeitalter folgt im zweiten Teil am kommenden Freitag.

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Autor: bco

Hallo, ich bin Bernie Cornwell, der bco.harlekin. Wie schon meine Signatur-Kappe unten suggeriert, bin ich Wirtschaftsflüchtling aus England und seit der Brexitabstimmung Wahlexilant. Über Umwege via Sprachunterricht und Sozialarbeit bin ich bei der IT gelandet. Ich war in die Technik total verknallt und nach meinem ersten Realisierungsprojekt bei einer Berufsgenossenschaft habe ich mich als Business Analyst und Projektleiter sukzessiv immer weiter von der Technik entfernt… Inzwischen verdiene ich mein Brot als Berater, Trainer und Coach im Projektgeschäft in jeder beliebigen Branche. Mein Hintergrund und meine Reiselust führen mich überwiegend zu Einsätzen in der ganzen Welt oder/auch bei multikulturellen Unternehmen im deutschen Sprachraum. Mit den Jahren hat sich meine berufliche Einstellung wesentlich geändert. Früher Missionar in der Sache des methodischen Vorgehens, sehe ich mich nun eher als Lebenshelfer im Projektumfeld. Das Arbeiten in einem Projektteam kann lehrreich, stimulierend und begeisternd sein; es soll weder Mission Impossible noch Himmelskommando sein. Projekte können der beste Ansatz sein, Innovation, Wirtschaftlichkeit und reizvolles Arbeiten zu fördern. Warum lieben Projektleiter den „surrealistischen“ Dilbert? Weil er tägliche Projektsituationen darstellt, die wir wiedererkennen. Und weil sie leider recht realistisch sind.

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