Digitaler Blues

Die Erfahrungen der letzten Wochen lassen mich an die beliebte deutsche Redewendung denken: „Warum einfach machen, wenn es auch kompliziert geht?“

Während der Rest der Welt mit der Digitalisierung beschäftigt ist, scheint es in der Bundesrepublik einige Widerstandsnester zu geben. Meine Krankenkasse – nennen wir sie Medisure – präsentiert sich gerne als effizient und kundenfreundlich. Ich war angenehm überrascht, als sie eine App einführten, mit der man eine mehrseitige Rechnung abfotografieren und zur Bearbeitung an sie schicken konnte, anstatt ein altertümlich aussehendes Formular mit Informationen handschriftlich auszufüllen, die sie größtenteils bereits besaßen. Ein Jahr später fügten sie die Funktion der E-Mail-Benachrichtigung hinzu, wenn eine Nachricht in der App eingegangen ist. Was kryptischerweise bedeutet, dass die App auch anzeigen kann, welche Erstattung sie gerade gewährt haben. Warum die App mir keine Benachrichtigung schicken kann, weiß ich nicht. Man wird mir wahrscheinlich sagen, dass es etwas mit der Datensicherheit zu tun hat.

Meine Frau ist bei der gleichen Gesellschaft versichert, aber auch zu 50% über das Bundesland, bei dem sie angestellt ist, in Form der Beihilfe – eine staatlich finanzierte Krankenversicherung für Beamte.  Wir haben die App für sie heruntergeladen und die Registrierung durchgeführt. Erst dann wurde mir bewusst, wie kompliziert die digitalen Dienste der Versicherung aufgebaut sind. Die Homepage ist eine überwältigende Ansammlung von Marketing- und allgemeinen Informationen, die neue Kunden anlocken sollen. Die Kunden müssen lange suchen, bis sie am Rand der Seite ein Symbol für „Formulare und Online-Dienste“ finden, nur um dann mit endlosen Listen von Möglichkeiten für Verträge, Notfälle oder die Vereinbarung eines Beratungstermins konfrontiert zu werden. Sie können für alles einen Antrag stellen, außer für Krankheitskosten – dafür brauchen Sie die App.

Klickt man auf der Homepage auf das Bild eines Smartphones, landet man auf einer Seite namens my-Medisure, die sich als Portal zu den Online-Diensten ankündigt. Allerdings findet man dort nur einen Link zur Registrierung für meine-Gesundheit ohneweitere Erklärung. Wenn Sie nicht wüssten, dass dies der Name der App ist, die Sie benötigen, wären Sie vielleicht etwas verwirrt, zumal das Einzige, was sich sonst auf der Seite befindet, ein Kasten mit der Aufschrift „Weitere Services im Aufbau“ ist.

Der unerschrockene Kunde, der auf den Link klickt, landet auf meine-gesundheit-services, wo er/sie mit Namen (!) begrüßt wird und liest, dass seine/ihre Mailadresse als CGM LIFE KEY registriert ist und er/sie dann aufgefordert wird, sein/ihr Passwort einzugeben. Ein Brief von Medisure hatte zuvor stolz verkündet, dass die CGM LIFE-Kundennummer meiner Frau …. sei. Und ihre SUPER PIN lautete ……, ohne jegliche Information darüber, wer oder was CGM LIFE ist oder wo sie diese wichtigen Informationen verwenden könnte.

Nach mehreren frustrierenden Versuchen, sie zu registrieren, und unbeantworteten Mails rief ich die Hotline an. Gefühlt Jahre später meldete sich ein freundlicher Mitarbeiter, der mir ausführlich erklärte, dass meine Frau aus Gründen der Datensicherheit nicht dieselbe E-Mail-Adresse für Medisure und die Beihilfe verwenden kann. Angeblich verwenden beide Unternehmen die Mailadresse als ID und kommen furchtbar durcheinander, wenn sie miteinander über dieselbe Person korrespondieren…

Also habe ich das Konto meiner Frau bei Medisure gelöscht und den gleichen Prozess durchlaufen, um mich mit einer neuen Mailadresse erneut anzumelden, nur um an der gleichen Stelle hängen zu bleiben. Diesmal erschien die Fehlermeldung „Das hätte nicht passieren dürfen“ mit… der Hotlinenummer. Nach der endlosen Warteschleife hörte eine freundliche Dame verständnisvoll zu, stellte fest, dass meine Frau bei my-Medisure, aber nicht bei meine-gesundheit registriert war, und sagte, sie würde sich mit dem technischen Dienst in Verbindung setzen und in einem Tag zurückrufen. Zwei Wochen später erhielten wir eine Mail, in der es hieß: „Leider ist ihre Registrierung in einem Upgrade-Fehler gelandet, so dass die Registrierung nicht möglich war. Der Fall ist jetzt in der Entwicklung. Bitte nutzen bis auf Weiteres die alternativen Einreichungsmöglichkeiten, vorzugsweise den Online-Leistungsauftrag, unter folgendem Link…“

Wir warten immer noch.

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Autor: bco

Hallo, ich bin Bernie Cornwell, der bco.harlekin. Wie schon meine Signatur-Kappe unten suggeriert, bin ich Wirtschaftsflüchtling aus England und seit der Brexitabstimmung Wahlexilant. Über Umwege via Sprachunterricht und Sozialarbeit bin ich bei der IT gelandet. Ich war in die Technik total verknallt und nach meinem ersten Realisierungsprojekt bei einer Berufsgenossenschaft habe ich mich als Business Analyst und Projektleiter sukzessiv immer weiter von der Technik entfernt… Inzwischen verdiene ich mein Brot als Berater, Trainer und Coach im Projektgeschäft in jeder beliebigen Branche. Mein Hintergrund und meine Reiselust führen mich überwiegend zu Einsätzen in der ganzen Welt oder/auch bei multikulturellen Unternehmen im deutschen Sprachraum. Mit den Jahren hat sich meine berufliche Einstellung wesentlich geändert. Früher Missionar in der Sache des methodischen Vorgehens, sehe ich mich nun eher als Lebenshelfer im Projektumfeld. Das Arbeiten in einem Projektteam kann lehrreich, stimulierend und begeisternd sein; es soll weder Mission Impossible noch Himmelskommando sein. Projekte können der beste Ansatz sein, Innovation, Wirtschaftlichkeit und reizvolles Arbeiten zu fördern. Warum lieben Projektleiter den „surrealistischen“ Dilbert? Weil er tägliche Projektsituationen darstellt, die wir wiedererkennen. Und weil sie leider recht realistisch sind.

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