Die „richtigen“ Hobbies

Gestern las ich einen Artikel auf der Website der Business Community XING mit dem Titel „Golf, Segeln, Reiten – mit diesen Hobbies bekommst Du das Vorstellungsgespräch“. Beim Weiterlesen stellte ich erleichtert fest, dass die Autorin Sandra Zemke, eine Recruiterin, keineswegs empfahl, eines dieser drei Hobbies zukünftig bei allen Bewerbungen anzugeben. Sie riet im Gegenteil, „dass für eine faire, diverse und qualitativ hochwertige Bewerberauswahl möglichst diese – nicht für den Joberfolg relevanten – Merkmale eliminiert werden“.

Dennoch ging bei diesem Thema sogleich meine Phantasie mit mir durch. Ich stellte mir vor, ich hätte in meiner Bewerbung erwähnt, dass eines meiner Hobbies Golf spielen, segeln oder reiten ist – obwohl es nicht stimmt. Und beim anschliessendem Vorstellungsgespräch sässe mir dann tatsächlich ein  begeistert golfender, segelnder oder reitender Manager gegenüber.

Bei der Golf-Lüge würde das Kartenhaus doch spätestens dann einstürzen, wenn ich nicht sagen kann, was mein Handicap ist [1]  – und beim Segeln und Reiten wahrscheinlich noch schneller. Selbst wenn ich nicht danach gefragt würde, würde dieser Schwindel mich während des gesamten Gesprächs Nerven kosten!

Aber dass Lügen die sprichwörtlichen kurzen Beine haben, ist ja nicht neu. Mich hat viel mehr gewundert, dass die Indizien dafür, wer zu den Leuten mit dem „Savoir Vivre“ gehört, heutzutage anscheinend immer noch dem Cliché der Rosamunde-Pilcher-Filme entsprechen. Damit tut man auch den Menschen unrecht, die ohne jeden „Standesdünkel“ einem dieser Hobbies nachgehen. Ja, auch die gibt es!

Ich kenne die Bewerbungsgesprächssituation von beiden Seiten – es ist auch beides schon länger her. Und ich erinnere mich, dass es früher auch üblich war, Hobbies oder private Interessen in der Bewerbung zu erwähnen. Soweit ich mich erinnere, habe ich das aber als Bewerberin nicht getan. In meinen jungen Jahren lag das u.a. auch daran, dass das „Hobby“, das mich die meiste Zeit kostete, ein politisches war. Und wenn ich damals auch nicht feige war, fand ich es doch nicht sinnvoll, meine Teilnahme an Kampagnen gegen die Stationierung von Pershing II Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden in der Bewerbung zu erwähnen. Es waren schliesslich die 80er Jahre! (Ausserdem wurde „politisch aktiven“ Personen gern ein hohes Mass an Frustrationstoleranz unterstellt, weil man an die langsam mahlenden Partei-Mühlen dachte. Das traf auf mich nicht wirklich zu…)

Und was die echten Hobbies angeht – da fand ich meine zu wenig „hip“,  um sie anzusprechen. Krimis lesen, Theater, Volleyball und Aqua Fitness   – wen kann man damit vom Stuhl reissen? Andererseits: Die Menschen mit den beeindruckenden sportlichen Hobbies wie Drachenfliegen, Fallschirmspringen oder Windsurfen hätten dadurch vielleicht eher Nachteile bei der Bewerbung, weil eine hohe Verletzungsgefahr und damit auch eine höhere Ausfallquote unterstellt würde. In diesem Punkt können HR-Manager sehr unromantisch sein.

Aber die Zeit ist nicht komplett stehengeblieben, und es gibt auch Hobbies, bei denen der Zeitgeist das Image verändert hat. Nehmen wir zum Beispiel das Reisen – früher ein Zeichen für Weltoffenheit und Flexibilität, heute kommt die Flugscham ins Spiel, und als Bewerber:in könnte man höchstens noch mit abenteuerlichen Zugreisen punkten. Ausser natürlich, man bewirbt sich beim Flughafen.

Manchmal kommt mir die Ableitung von Hobbies oder Sportarten zu bestimmten Eigenschaften auch etwas schlicht vor. Ist wirklich jeder Fussballspieler ein Teamplayer? Jeder Marathonläufer ein verbissener Asket? Oder jeder Tänzer eitel? Ach, wenn das Leben so einfach wäre…

Und von der anderen Perspektive her betrachtet: Als ich in  Bewerbungsgesprächen  sass, um neue Mitarbeiter:innen auszuwählen, kann ich mich nur an zwei Fälle erinnern, bei denen die genannten Hobbies eine Rolle gespielt haben. Da war zum einen die Finanzbuchhalterin mit der Schwäche für 5000-Teile-Puzzles – und  als neue Kollegen für ein sehr herausforderndes Team voller Individualisten (um nicht zu sagen: Nervensägen!) gesucht wurden, habe ich mit Leidenschaft für die Kandidatin plädiert, die gern Horrorfilme schaut. Eine gute Wahl, wie sich später herausstellte!


[1] Ich erinnere mich noch an einen Chat-Austausch mit einer Freundin, die erwähnte, sie habe HCP 9,6. Ich vermutete sogleich einen schlechten Blutwert und fragte besorgt zurück, was denn der Arzt gesagt hätte. Sie klärte mich daraufhin auf, dass HCP 9,6 ihr Handicap beim Golf wäre.

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Autor: bbr

Hallo, ich bin Beate Brinkman, der bbr.harlekin. Ich bin Redakteurin und Autorin für den Harlekin.Blog e.V. und im “Hauptberuf” in einem international agierenden IT-Unternehmen als Support Coordinator tätig. Bisher habe ich in deutschen, niederländischen, amerikanischen und indischen Unternehmen gearbeitet und viele Erfahrungen mit multikultureller Zusammenarbeit machen dürfen. Seit vielen Jahren lebe ich als Deutsche in den Niederlanden und habe festgestellt, dass schon allein die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschen und Niederländern ganze Bücher füllen können. Aus beruflichen und privaten Gründen gilt dem multikulturellen (Miss-)Verständis mein besonderes Interesse. Ob es um Essen, Sprache, dienstliche Conference Calls oder die Gestaltung von Begräbnissen geht – wenn die Kulturen mehrer Länder aufeinander stoßen, wird es spannend. Und das führt zu manchmal unerfreulichen, oft sehr komischen, aber immer lehrreichen Situationen.

Ein Gedanke zu „Die „richtigen“ Hobbies“

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