Crime Scene Vorgarten (Teil 3)

Von Kindermördern und Ruhestörern

In meiner Nähe brüten auch einige Turmfalken. Sie sind übrigens nicht mit den Greifvögeln verwandt, sondern mit Papageien. Einmal aufmerksam gemacht auf diese Besonderheit, kann man einige Parallelen der beiden Arten feststellen, z. B. in Flug, Fortbewegung auf der Erde und Schnabelbau. Aber darüber wollte ich gar nicht schreiben. Turmfalken legen ihre Eier, ebenso wie Meisen, in Abständen von einigen Tagen, sodass sich schon einige Kinder weiter entwickelt haben, als die Nachzügler. Das hat zur Folge, dass die älteren lauter um Nahrung betteln und somit schneller bedient werden und schneller wachsen. Und in Jahren des Mangels, wie zum Beispiel dieses Jahr 2022, werden dann nur noch die älteren gefüttert. Die Jüngeren verhungern. Das ist eine Überlebensstrategie der Vögel, die sich Kainismus nennt. Auch von Störchen ist dieses Verhalten bekannt, wenn in ihrem Brutgebiet Nahrungsknappheit herrscht.

Manche Greifvögel leben dieses Verhalten noch konsequenter und extremer aus: Der Schreiadler, unser kleinster Adler, legt immer 2 Eier und bebrütet sie zeitversetzt, so dass ein Küken früher schlüpft. Und wie schon beim Kuckuck hat das ältere und damit größere Kind den Drang, das Nesthäkchen zu attackieren, zu malträtieren und über den Rand des Nestes zu drängen. Die Eltern billigen dieses Verhalten und unterstützen das ältere Vögelchen bei seinen Anstrengungen. Da dieses Verhalten nicht mit Nahrungsmangel einher geht, rätselt die ornithologische Fachwelt noch über Sinn und Zweck dieses drastischen Tuns. Ich denke manchmal an Zeiten zurück, als ich Kind war und mit meinem jüngeren Bruder zusammen spielen musste, ich hätte ihn manchmal auch gerne über den Nestrand befördert. Aber meine Mutter hat mich nicht dazu animiert.

Dieses Jahr erlebte unsere kleine Nachbarschaft ein besonderes Ereignis: Hat sich doch ein Waldohreulen-Pärchen dazu entschlossen, drei kleine Küken direkt im alten Baumbestand eines winzigen Parks hinter meiner Wohnung groß zu ziehen. Die Waldohreule ist etwas kleiner als der Waldkauz, bringt aber doch stattliche 30 cm Körperlänge auf die Latte. Und auch sie sind elegante und leise Flieger, die beeindruckend schnell mit ihrer Mäuse-Beute in den Baum fliegen, füttern und gleich wieder weg sind. Die Kleinen werden nach einer kurzen Zeit im Nest von den Eltern aus demselben geschubst und landen dann mit ihrem Flaum unverletzt auf dem Waldboden, wo sie natürlich eine schnelle Beute werden können für Katze, Fuchs und manchmal auch Krähen (die sich damit begnügen, ihnen die Augen auszustechen). Wenn sie aber schnell genug sind, klettern sie mit bereits stark ausgebildeten Füßen den Stamm eines Baums hoch und verweilen hoch oben auf einem Ast, wo sie dann von den fleißigen Eltern im Akkord gefüttert werden. Damit die Eltern sie auch finden, stossen sie lang gezogene, durchdringende Schreie aus. (https://www.youtube.com/watch?v=62ggVY_ZemM)

Wenn Sie das Video gesehen haben, wissen Sie, warum diese Geschichte ein Grauen in der Natur sein kann. Nicht für die Waldohr-Eulen, sondern für alle anderen in der Nachbarschaft. Das Rufen der Eulenkinder ist so markerschütternd, dass über 5 Wochen hinweg nicht an Durchschlafen zu denken ist. Mir persönlich macht es nichts aus, aber die lieben Nachbarn, deren Schlafzimmer noch näher am Verweil-Ast der Kleinen liegt, hatten Mordgelüste. Eine ältere Dame ist in einer Nacht mit dem Schirm rausgestiefelt, hat mit demselben auf den Baum eingehauen und dabei gerufen: „Jetzt ist aber mal Schluss hier! Ich will endlich schlafen!“ Was meinen Sie, hat die Eule sie erhört?

Beeindruckend ist, dass die Eulen, vor allem die großen, keine natürlichen Feinde haben, aber eine Menge „Hater“. Sobald eine Waldohreule sich schon am hellen Abend (und nicht erst in Dunkelheit) zum Füttern aufmacht, ertönt eine Kakophonie ornithologischer Warnrufe, die erst wieder verstummt, wenn die Eltern außer Sichtweite sind.

Für viele Menschen beginnt das Grauen im Frühling daher schon morgens um 4, wenn die ersten Sänger ihre Stimme erheben. Du kannst die Uhr danach stellen! Erst der Hausrotschwanz, gefolgt von der Singdrossel, dann das Rotkehlchen, begleitet von Amsel, Ringeltaube und Zaunkönig. Und so geht das jeden Morgen, bis Ende Mai das Balzen und Balgen ein jähes Ende nimmt. Ich freue mich über den vielstimmigen Reigen, aber manch anderer Hörer eben nicht. Und die Schönheit des Klangs hängt entscheidend von der Nähe zur Klangquelle ab. Eine Nachtigall in unmittelbarer Nähe zu hören, kann dermaßen auf die Nerven gehen, dass schon Mark Twain behauptete: „ Der Gesang der Nachtigall ist der abscheulichste, welcher der Ornithologie bekannt ist. Ihr teuflisches Gekreisch wirkt noch auf dreißig Yards Entfernung tödlich.“ 

Auch bei den genannten Beispielen könnte man ganz menschlich feststellen, wie brutal die Natur doch ist. Doch das führt zu nichts. Jedes tierische Verhalten ist erklärbar, ergibt Sinn, wenn man die Besonderheiten der Tiere und ihrer Umgebung betrachtet. Die Natur hat Gesetze, die wir mit unserem Verstand oft nicht nachvollziehen und verstehen können. Das ist gut so. Wir sollten viel mehr und detaillierter die Natur beobachten, statt zu bewerten oder sogar zu verurteilen. Ob nun der parasitäre Kuckuck oder andere Arten, wie vergewaltigende Stockenten, Fisch klauende Raubmöwen und Steine räubernde Pinguine,  sie alle haben ihren Überlebensweg gefunden, mit dem Gesetz des Stärkeren zurecht zu kommen. Was für eine Kunst, fast wie ein Hitchcock-Film. Großartig!

Und wenn Sie Lust haben, selber tiefer ins Thema einzutauchen, habe ich einige Literaturempfehlungen für Sie:

  • Kosmos Naturführer Vögel, Was fliegt denn da?
  • Brehms Tierleben, mehrere Bände über Vögel
  • Philippe J. Dubois, Eloise Rousseau; Kleine Philosophie der Vögel
  • Johanna Romberg, Federnlesen
  • Dominik Eulberg, Mikroorgasmen überall
  • Jürgen & Thomas Roth, Kritik der Vögel
  • Andreas Tjernshagen, Das verborgene Leben der Meisen
  • Vergewaltigung bei Stockenten, https://www.n-tv.de/wissen/frageantwort/Vergewaltigen-Erpel-Enten-article6052296.html
  • Vogeluhr, http://www.vogelstimmen.net/vogeluhr.html

Bildquellen

Autor: hfi

Hallo, ich bin Heike Fillhardt, der hfi.harlekin aus dem Rheingau. Ich leite und begleite seit Anfang der 90er Jahre Veränderungsprozesse in internationalen Unternehmen im Rahmen von Reorganisationen, Fusionen und Leitbildumsetzungen. Dabei vertraue ich auf die Kraft der Gruppe und arbeite nach dem Grundsatz: es gibt immer eine Lösung, egal wie lange es dauert. Viele Führungskräfte empfinden sich als „lonesome hero“ – ein Bild, das sich – wem auch immer sei Dank – endlich auch in Deutschland zu verändern scheint. Und ich freue mich über jedes Projekt im Rahmen von Agilität. Neben Erfahrungen aus dem klassischen Projekt- und Changemanagement bringe ich auch breites systemisches Methodenwissen ein. Ich bin Scrum-Master und Leadership Agility Coach. Erkenntnisse aus meinen verschiedenen physio- und psychologischen Ausbildungen fließen ebenso in mein Wirken ein wie meine Erfahrung als Dozentin und Mutter. Ich wirkte 14 Jahre als Managementberaterin, Coach und Trainerin in verschiedenen Unternehmen. Seit 2007 bin ich selbständige Beraterin mit eigener Coachingpraxis. Seit 2012 bin ich Kung-Fu-Schülerin. Und im Laufe der Jahre flossen immer mehr Körperübungen in meine Workshops und Trainings ein. Denn nur wer sich bewegt, ist auch langfristig erfolgreich. Meine Kunden schätzen vor allem das Umsetzen der theoretischen Themen in Spiel und Körperübungen, meine systemische Sicht auf das ganze Feld, das schnelle Einstellen auf situative Bedürfnisse, meine klare und wertschätzende Sprache und die konsequente Zielverfolgung.

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