Betreiben Sie Risikomanagement oder Selbstbetrug auf hohem Niveau? (2)

Sind die allseits gängigen Ansätze zum Risikomanagement in Projekten noch zeitgemäss?

Ich meine nein.

In einer Welt, in der täglich mehr Wandel stattfindet als im gesamten 1880, ist die nahezu ausschliessliche Ausrichtung auf das Bekannte und Erlebte de facto pure Überheblichkeit, gepaart mit Ignoranz (und das gilt auch für die Zentralschweiz).

Auch iterative Ansätze wie Scrum, denen zurecht nachgesagt wird, für schnellen Wandel und hohe Komplexität besser geeignet zu sein, liefern nur teilweise konkrete Antworten. Kürzere Sprints und Transparenz über den Zustand der Lieferergebnisse sind sehr hilfreich, machen aus einem Truthahn aber noch keinen Seher.

Aber wie können wir uns in Projekten so aufstellen, dass wir besser auf „unknown unknowns“ vorbereitet sind, bzw. vielleicht sogar Positives aus ihnen schöpfen?

Hier wird es dünner, aber nicht zentralschweizmässig

Und jetzt bin ich zurück beim ersten Teil meines Beitrages und meiner Einschätzung, dies «noch nicht zu Ende gedacht» zu haben.

Patentrezepte kann ich (noch?) nicht liefern. Erstmal nur Denkanstösse, welche Veränderungen in Umgang mit Projekten und im eigenen Verhalten helfen können, Zufälligkeit nicht nur zu adressieren, sondern zu einem Verbündeten zu machen.

Derzeit wird viel über «Resilienz» als Rezept gegen Anfälligkeit gesprochen. Resilienz bzw. Robustheit bringen aber keine wirkliche Entwicklung: der resiliente Truthahn überlebt Thanksgiving auch nicht.

Und jetzt endlich ein paar konkrete Überlegungen

  • Wenn erfahrungsbasierte Prognosen den Truthahn nicht vor dem Schwarzen Schwan bewahren, warum dann in diesem Kontext weiter auf Prognosen setzen? Es ist viel einfacher zu erkennen, ob eine Sache anfällig ist, als diesbezüglich Ereignisse vorherzusagen. Im Wissen um Unwägbarkeit Entscheidungen zu treffen und zu kommunizieren ist erfolgsversprechender, als nachher zu erklären, warum es schiefgehen musste.
  • Was macht Systeme tatsächlich stabil? Oft sind es Schichten von Redundanzen (Überkompensation), besonders gut zu beobachten in der Natur.
    Ein Beispiel: Eine Tabakart in Nordamerika kann auschliesslich durch ein ganz bestimmtes Insekt bestäubt werden, dessen Raupen blöderweise gleichzeitig der grösste Feind dieser Pflanze sind. Wird die Pflanze von dieser Raupenart angefressen (spannend woher die Pflanze weiss, dass es genau diese Raupenart ist), setzt sie Duftstoffe frei, die den grössten Fressfeind dieser Raupenart, einen Käfer, anlocken (erste Schutzschicht). Funktioniert das nicht ausreichend, formt die Pflanze ihre Blüten so um, dass dass bestäubende Insekt (das mit den Raupen), nicht mehr in die Blüten krabbeln kann und somit weiterzieht (zweite Schutzschicht). Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass o.g. Duftstoff andere Gewächse der gleichen Art in der Umgebung warnt und die Blütenumformung so erfolgt, dass Kolibris den Bestäubungsjob übernehmen können.
  • Ein detaillierter Plan bewirkt, dass Abweichungen eher schädlich als hilfreich für die im Projekt Handelnden wahrgenommen werden. Vorausschauendes Handeln ist daher gefragt, was wiederum ziemlich prognoselastig ist. Zufälligkeit kann nicht damit beseitigt werden, dass wir versuchen Zufälligkeit zu beseitigen! Denn die Zufälligkeiten scheren sich nicht um unsere Bemühungen.
    Zufälligkeit ist bis zu einem gewissen Grad der Treibstoff, denn Umwege können auch zum Ziel führen. Wird dies verbunden mit der Inkaufnahme einer gewissen Streuung bei den Lieferergebnissen, hat das schon einiges vom o.g. Tabak.
  • »Triff Vorsorge für das Schlimmste, das Beste erledigt sich von selbst.«, lautet ein Sprichwort. Sich mit dem Unwahrscheinlichsten zu beschäftigen, anstatt sich ausschliesslich auf Prognosen zu verlassen, hätte wohl auch den Gebrüdern Lehman geholfen.

Wenn wir uns nur gut genug umsehen, finden wir zig Beispiele für Systeme, die sich mehr als nur robust gegenüber den Schwarzen Schwänen gezeigt haben. Ich rufe auf, von diesen zu lernen. Ich fordere auf, mehr davon zu sammeln und zu überlegen, wie wir diese in Organisationen und deren Vorhaben besser integrieren können. Überall, auch ausserhalb der Zentralschweiz.

Bildquellen

  • Treat me badly (1): RGE

Autor: rge

Hallo, ich bin Rüdiger Geist, der rge.harlekin vom Zürichsee. Als Politikwissenschaftler verlor ich sehr schnell den Glauben an Rationalität und den homo oeconomicus. Also suchte ich mir was Handfesteres und Logischeres: die Informatik. Feste Regeln, unmittelbares Feedback vom Compiler und nicht viel mit Menschen zu tun haben. Ihr erahnt es schon, es kam ganz anders. Schnell wurde ich zum Projektleiter ernannt, hörte sich auch toll an, wusste aber nicht so genau was das eigentlich ist. So nach etwa drei Jahrzehnten im Umfeld von Projekten meine ich nun zu wissen worum es da geht und so trage ich nun meine Erkenntnisse seit 2005 mittels eigenem Unternehmen in die Welt hinaus, ja sogar in die EU. Es gibt so viele schöne Zitate, die die unterschiedlichsten Facetten des Projektmanagements beschreiben und ich nutze sie gerne. Aber das beste stammt natürlich von mir selbst: Der Zweck des Projektmanagement ist «no surprises».

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